Die Patriots versprühen bei den diesjährigen NFL Frankfurt Games wenig von ihrem einstigen Glanz. Credit: Imago Images / USA TODAY Network / Kirby Lee

Historische Franchises, markante Logos, ein Traum von NFL-Royalty – so in etwa hatte sich die NFL das anstehende Spiel der New England Patriots gegen die Indianapolis Colts in Frankfurt vorgestellt. Das Team von Bill Belichick hat aber im Moment ganz andere Sorgen!

Es gibt wohl unzählige Tage, an denen man sich eine Zeitmaschine wünscht. Bei allerlei wirklich weltbewegenden, existenziellen Fragen natürlich, aber irgendwie wohl genauso häufig im banalen Alltag. Dieser wird für nicht wenige in diesen Tagen durch die laufende NFL-Saison bestimmt, die mit allerlei Highlights, Spannung und Dramatik die begeisterte Fan-Seele am Hüpfen hält. Dies gilt nicht zuletzt für die deutsche Football-Community, die just das mit Stars gespickte Duell zwischen den Miami Dolphins und den Kansas City Chiefs auf mitteleuropäischen Boden in Frankfurt bewundern durfte. Patrick Mahomes, Glitzer und Glamour inklusive. Das nächste NFL-Spiel in „Mainhattan" im Rahmen der NFL Frankfurt Games folgt auf dem Fuß, aber es verspricht eher weniger von all dem, was am vergangenen Wochenende auf dem Menüplan stand.

New England Patriots fliegen angeschlagen nach Frankfurt

Dabei klang die Ansetzung zwischen den Indianapolis Colts und den New England Patriots vor gar nicht allzu langer Zeit noch wie eine verdammt gute Idee, vor gut 15 Jahren wäre sie sogar spektakulär gewesen. Um das kleine anfängliche Gedankenspiel der Zeitmaschine zu bemühen, es gab mal Tage, an denen in dieser Partie zwei All-Time-Greats namens Peyton Manning und Tom Brady aufeinander getroffen wären. Was für ein Sonntagnachmittag das in „good ol‘ Germany“ gewesen. Stattdessen – der geschulte Leser ahnt es schon – sind diese beiden lediglich Legenden der Vergangenheit, die Gegenwart für beide Franchises hat wenig mit Ruhm von gestern zu tun. Während die Colts aber immerhin noch irgendwie im Ligamittelfeld herumdümpeln und mit dem verletzten Quarterback Anthony Richardson zumindest eine gewisse Sonne der Hoffnung am NFL-Horizont erspähen können, befinden sich die New England Patriots komplett im freien Fall.

Nur zwei Siege aus neun NFL-Saisonspielen konnten die Jungs von Bill Belichick bisher einfahren, der einstige Meistermacher scheint ratlos ob der wöchentlich neuen Tiefflüge seiner Mannschaft. Nun stehen ihnen aber mit der Deutschland-Reise ein echtes Unikum und eine besondere Woche ins Haus, die auf verschiedenste Weise natürlich ein paar Lebensgeister freisetzen könnten. Sie vermögen dem deutschen Publikum aber auch eine der hässlichen Seiten des großen NFL-Spektakels zu präsentieren, welches zumindest im Alltag vielen Fans doch eher verborgen bleibt – so sie es denn nicht direkt mit einer schwächelnden Mannschaft halten. Heimlich, still und gar nicht mehr so leise hört man in diesen Tagen aus Foxborough nebst allen Unmutsbekundungen sogar ein Wort, mit dem die Patriots und ihre Anhänger über Jahrzehnte so wirklich gar nichts anfangen konnten – „Tanking“.

New England Patriots stehen vor Umbruch

Jener englische Ausdruck bezeichnet die vermeintliche Aufgabe einer Saison, das Eingestehen der eigenen Unzulänglichkeit und die Hoffnung, mit möglichst vielen Niederlagen sowie vielleicht dem Veräußern von gestandenen Top-Spielern eine bessere Ausgangsposition im kommenden Draft zu ergattern. Es ist natürlich nichts, was man in der Regel seinen treuen Fans auf die Nase bindet, schon gar nicht vor einem werbewirksamen Spiel im Ausland. Die Profis kämpfen ebenfalls jede Woche um ihre Jobs und gehen keine Partie mit dem Mantra des Verlierens an, noch dazu, weil sie gar nicht wissen, ob sie nächste Saison noch für ihre jeweilige Mannschaft auflaufen. Bei den Patriots kommt noch hinzu, dass Bill Belichick ja eigentlich nach dem Allzeit-Rekord für Siege eines NFL-Trainers schielt. Trotz alledem lassen sich die Zeichen der Zeit in New England aber längst nicht mehr wegdiskutieren, alles spricht für einen Rebuild. Und damit kann jetzt jede Niederlage für die Patriots kostbar werden.

Die Gründe dafür sind vielschichtig wie flächendeckend. Ihr angestrebter Quarterback der Zukunft Mac Jones wird jene irgendwo anders suchen müssen, denn in New England ist er verbrannt und mit stetigen eklatanten Fehlern zu einem Synonym des Niedergangs geworden. Dem Team um ihn herum, welches vor zwei Jahren noch seine offensichtlichen Schwächen verstecken konnte und sich mit einem minutiös vorsichtig ausgeklügelten Gameplan in die Playoffs taktierte, fehlt es gleichermaßen überall an Talent. Verantwortlich ist dafür der immer öfter indisponiert wirkende Bill Belichick, Head Coach und General Manager in Personalunion, dem aber ohne Tom Brady keine echte Zukunftsvision einfallen möchte. Viel personelle Kistenkrämerei, organisatorische Fehlentscheidungen und eine Prise Hybris sind nur einige der Probleme, die Kritiker dem Super-Bowl-Macher vorwerfen. Es sind alles Dinge, die aber am Ende eines erfolgreichen „Tank“ ganz schnell in Vergessenheit geraten könnten.

„Tanking“ ist in der NFL keine Erfolgsgarantie

Denn in der NFL lässt sich das Lenkrad manchmal schneller herumreißen, als man denkt, manchmal braucht es nur einen guten Quarterback, damit sich die gesamte Struktur innerhalb einer Franchise verändern kann. Die Patriots können davon bekanntermaßen ein Lied singen, aber inwiefern eine unterirdische Saison der Start von etwas zumindest vielleicht Großem werden kann, zeigten just auch die Jacksonville Jaguars. Nur ein einziger Sieg gelang ihnen in der NFL Saison 2020. Dafür wurden sie aber mit Top-Quarterback-Talent Trevor Lawrence im darauffolgenden NFL-Draft belohnt, der nun auf Jahre wie der Anführer der Wildkatzen aus Florida aussieht und sie in den Kreis der stetigen Playoff-Anwärter geführt zu haben scheint. Die NFL definiert als einzige US-Profi-Liga ihre Draft Order lediglich nach der Siegesbilanz der Teams, womit ein vorsichtig formuliert nicht vollends siegorientiertes Operieren zu echtem Erfolg führen kann. Was hierbei ein Sieg ausmachen kann, zeigen die 2020er New York Jets, die beim Rennen um den ersten Pick „hinter“ den Jaguars ins Ziel kamen. Ein belangloser Erfolg im Dezember jenes Jahres gegen die Rams gab den New Yorkern damals zwei Siege für die Spielzeit. Das Resultat war statt Lawrence sein Positionskollege Zach Wilson, seines Zeichens einer der schlechtesten Top-Quarterback-Picks der vergangenen Jahre, der schon jetzt in der NFL als gescheitert gilt.

Garantien gibt es also auch beim „Tanking“ keineswegs, es wird sie auch für die New England Patriots nicht geben. Sie können sich nicht einmal sicher sein, das Jahr mit der schlechtesten Bilanz der Liga zu beenden. In diesem Galopprennen reden die Arizona Cardinals, die New York Giants und die Chicago Bears alle auch noch ein gehöriges Wort mit. Was allerdings nichts an der Tatsache ändert, dass wohl die College-Spiele der großen Quarterback-Talente wie Drake Maye, Caleb Williams oder Michael Penix am kommenden Wochenende vielleicht für Patriots-Fans sogar etwas interessanter sind als der Auftritt der eigenen Mannschaft. Schade für Football Deutschland, schade für die Patriots-Fans. Zumindest für den Moment.

Es sei denn irgendwer erfindet bis Sonntag doch noch eine Zeitmaschine.

Über den/die Autor/in
Moritz Wollert
Moritz Wollert
Moritz Wollert schreibt für TOUCHDOWN24 u.a. über die NFL. Für das monatliche Print-Magazin schreibt er u.a. die NFL History Artikel

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