NFL Top Pick Bryce Young merkte, dass es auch schon in der Preseason zur Sache geht. Credit: Imago Images / ZUMA Wire / Scott Kinser

Die NFL Preseason 2023 ist in vollem Gange und damit überhäufen sich bereits die Schlagzeilen über potenzielle Breakout-Stars, vergeudete Picks und andere Dinge, die eigentlich erst in weiter Zukunft entschieden werden. Damit besitzt die Vorsaison eine ganz eigene Faszination und schreibt schon jetzt so manche interessante Geschichte!

Ziemlich genau ein halbes Jahr ist der Super Bowl 2023 jetzt her, seitdem muss der gemeine Football-Fan sich mit Draft-Highlights und weiteren Spielen von gestern begnügen, um das eigene Verlangen nach dem nicht ganz so runden Ball zu stillen. Da ist es nur allzu verständlich, dass die NFL Gemeinde wie auch in den Vorjahren mit quasi einhelligem Enthusiasmus in die erste Preseason Woche der anstehenden Spielzeit hineinstürmt.

Grund zum Hinschauen gibt es allemal: Die diesjährigen Top-Rookies strecken beispielsweise zum ersten Mal ihre Kinderfüßchen ins kühle Nass des Profi-Footballs, sorgsam beobachtet von den elterlichen Fans und Verantwortlichen, die in jedem noch so verzweifelten Planschen versuchen, einen potenziellen Michael Phelps von morgen zu erkennen.

Aber auch auf den Außenbahnen düst so mancher zunächst unbeachteter Schmetterling durch das Wasser und verdient sich damit nebst dem Seepferdchen der medialen Aufmerksamkeit nicht selten auch eine Dauerkarte für das große Schwimmbad NFL. In diesem passiert schon jetzt eine ganze Menge, von dem man vieles getrost wieder vergessen, anderes aber durchaus im Hinterkopf und sogar woanders haben sollte.

NFL-Rookie-Quarterbacks mit ordentlichen Schwierigkeiten

Experten deuteten in den vergangenen Monaten immer wieder an, dass die diesjährige Riege der Rookie-Quarterbacks nicht unbedingt jeden Talentsucher aus dem Hocker haut, selbst Top-Pick Bryce Young umringten etliche Fragezeichen. Diese sind für ihn vielleicht nicht wirklich größer geworden, aber seine Kollegen aus den frühen Runden taten bisher wenig, um ihre Kritiker Lügen zu strafen.

C.J. Stroud hatte eine Fahrkarte für die Geisterbahn des New Englander Pass Rushes, den Budenbesitzer Bill Belichick mit dem ein oder anderen Monster ergänzt hat und der dem jungfräulichen Ohio-State-Abhänger ein paar Mal ordentlich das Fürchten lehrte. Anthony Richardson erlebte bei den Colts Ähnliches und sah immer noch so aus, wie zu seinen selten konstanten Tagen an der University of Florida.

Auch Bryce Young hatte nur wenig Zeit, um seine ersten Monate in einer echten NFL-Pocket zu genießen. Aber auch wenn die Pass Rusher der New York Jets immer wieder dazwischen funkten, Young schien trotzdem relativ gelassen. Wie lange das so bleibt bei der Offensive Line der Carolina Panthers muss man dann mal abwarten. Ebenso wie viel man auf die überragende  von Fourth Rounder Aidan O'Connell bei den Raiders geben kann.

Chicago Bears und Justin Fields schon auf Wolke Sieben

Hallo, Disneyland, wir würden gerne eine Reservierung für die Chicago Bears machen. Genau, kurz nach dem Super Bowl, mit allem Drum und Dran, versteht sich. Während derlei Gedankenspielchen zum jetzigen Zeitpunkt natürlich noch zu früh kommen, so sind die „Monsters Of The Midway“ doch das jüngste in einer langen Liste von Teams, das trotz Mangel an belastbaren Erfolgen von der Öffentlichkeit schon im Sommer zum Super Bowl Contender erhoben wird.

In Bezug auf Justin Fields äußern manche bereits die drei Buchstaben MVP und reagieren damit auf ein Preseason-Spiel, in dem der junge Bears-Quarterback doch tatsächlich zwei Screens warf, die seine Receiver gegen eine indisponierte Titans-Defense in die Endzone trugen. Fields‘ Arbeitseinstellung, seine Verbesserungen und das gestiegene Talent-Level der Bären in allen Ehren, aber es bleibt dabei, dass jedes Dorf eine Kirche braucht. Und jedes Team eine Perspektive auf das, was vor ihm liegt.

Aus der Windy City hallen lediglich euphorische Töne in diesen Tagen, was einerseits verständlich, andererseits sogar notwendig nach Jahren voller Pleiten ist, um eine neue Kultur zu kreieren. Allerdings wird die große Aufgabe nun nicht darin bestehen, irgendwelche Vorbereitungsspiele zu dominieren, sondern den schon jetzt überbordenden Hype richtig einzuordnen.

Für viele lebt der Traum NFL in diesen Tagen

Mit Hype haben viele andere Spieler in diesen Wochen nicht wirklich etwas am Hut. Im Gegenteil, sie müssen sogar bei jedem Trainings-Play um ihr nacktes sportliches Überleben in der NFL kämpfen. Es sind meist die Picks aus den Runden Fünf, Sechs und Sieben, dazu die Jungs, die ihren Namen überhaupt nie in einem NFL Draft hörten oder jene, für die der Horizont der eigenen Karriere bedrohlich nahekommt. Kaum jemand traut ihnen viel zu, außer vielleicht dass sie sich irgendwie im letzten Moment noch an Bord des NFL-Dampfers ihrer Mannschaft schleichen und womöglich einem Dasein in der Special-Teams-Kajüte entgegen blicken.

Selbst wenn schon dieses Schicksal natürlich überhaupt nicht das schlechteste für einen Football-Profi darstellt, so träumen viele in diesen Tagen doch von mehr. Ein Snap, eine Series, ein Spiel kann ganze Leben verändern, Träume platzen oder auferstehen lassen. Namen wie Tycen Anderson oder Ronnie Hickman, die zwei Interceptions für die Bengals sowie die Browns einsammelten, oder Elijah Dotson, der beim Sieg der Chargers gegen die Rams als wuchtiger Runningback brillierte, werden eventuell schnell wieder in Vergessenheit geraten. Vielleicht aber sind es eben diese Wochen, die ihr Leben für immer verändern.

Willkommen zurück, Damar Hamlin

Seinen „life changing moment“ hat Damar Hamlin entgegen vieler seiner Kollegen bereits hinter sich. Fast wäre es einer gewesen, der ihn besagtes Leben gekostet hätte. Mit Horror erinnern sich sicherlich noch viele NFL-Fans an die Bilder aus der letzten Saison, als Hamlin bei einem Spiel in Cincinnati das Bewusstsein verlor und anschließend stundenlang in einem kritischen Zustand verbrachte. Nun steht er für die Buffalo Bills wieder auf dem Football-Feld.

Es mag als rührende Story in der immensen Flut an NFL-Nachrichten in diesen Tagen schnell untergehen oder einfach nur fix abgenickt werden, doch es lohnt sich wirklich den einen Moment länger zu verharren. Man kann sich einmal vor Augen führen, was dies für ihn persönlich bedeutet, wieder auf dem Feld zu stehen, das ihm alles bedeutet, und das zu tun, was er über alles liebt. Und was es bei den Menschen für Emotionen freisetzt, die vor über einem halbem Jahr noch um seine Existenz gebangt haben.

Die Preseason in der NFL ist sicherlich viel, weit mehr, als manche glauben mögen, dafür aber auch viel weniger, als es andere uns glauben lassen wollen. Sportlich gesehen ist sie für etliche Spieler das große Sprungbrett, welches in den meisten Fällen einfach nur ins Nichts führt. Für Damar Hamlin ist die diesjährige Preseason wohl sogar noch ein klein wenig mehr. Für ihn bedeutet sie zumindest für ein paar Stunden alles.

Über den/die Autor/in
Moritz Wollert
Moritz Wollert
Moritz Wollert schreibt für TOUCHDOWN24 u.a. über die NFL. Für das monatliche Print-Magazin schreibt er u.a. die NFL History Artikel

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