Die Pittsburgh Steelers fanden am vergangenen Sonntag genau die Art von offensiver Belebung, nach der sie schon die gesamte NFL Saison gesucht haben. Sie kam in Form von Rookie-Quarterback Kenny Pickett, der die letztendliche Niederlage gegen die New York Jets aber auch nicht verhindern konnte. Trotzdem scheint klar, dass er weiter hinter dem Center stehen muss. Wenn da nicht Mike Tomlin so seine Zweifel hätte!
"Ken-ny! Ken-ny!"
So hallte es durch das Acrisure Stadium zu Pittsburgh, ein Ruf, der von den Ufern der drei großen Flüsse in die grünen Hügel Pennsylvanias hinauszog, so als ob er einer gesamten Region die frohe Kunde eines neuen Messias verkünden wolle. Die Fans der Pittsburgh Steelers sehnten sich nach nichts geringerem, nachdem sie dreieinhalb Spiele von einer durch Mitch Trubisky geführten Offense durch eine schmerzhafte Mühle gemahlen wurden. Nachdem sie Najee Harris dutzende Male in eine Wand haben laufen sehen, weil niemand ihr auf dem Papier potentes Deep Game respektiert. Oder nachdem sie abermals Zeuge eines etwas zu kurzen Passes ihres neuen Quarterbacks wurden, der seinen Receiver ein Stück vor der First Down Markierung zu Fall bringt.
Als Kenny Pickett sich die wehenden Haare nach hinter schwang und sich seinen Helm aufsetzte, ging nicht nur ein Ruck durch die gesamte Mannschaft der Pittsburgh Steelers, sondern er hob auch den Puls eines Stadions, dass sich gefährlich nahe am kritischen Niedrigwert der eigenen Ohnmacht befand. Auf einmal operierte das stählerne Laufspiel zumindest auf adequatem NFL-Niveau, auf einmal liefen die mächtigen Wide Receiver ihre Routen mit ein klein wenig mehr Kraft und Vehemenz. Pickett selbst wusste, dass genau das seine Aufgabe auch in der Motivation lag, bejubelte mit Teamkameraden erfolgreiche Plays, stachelte die Handtuch wedelnden Massen auf den Rängen an und versprühte genau die Art von jugendlichem Elan, die einem Rookie-Quarterback bei seinen ersten staksigen Gehversuchen in der NFL innewohnt.
Die Pittsburgh Steelers sind mit Kenny Pickett am Scheideweg
Es klingt alles wie ein wunderbares Märchen für die Steelers, diese erfolgsverwöhnte, stolze Franchise mit der goldenen Historie, die gleichzeitig Identität, Erbe als auch Bürde für die Gegenwart ist. Es schien, als hätten sie direkt nach dem Verlust ihres alten Quarterbacks Ben Roethlisberger, der sich wohl bald auf eine Reise nach Canton in die Hall of Fame aufmachen wird, direkt einen neuen gefunden, noch dazu einen „local hero“, der nur Minuten von seiner heutigen Bühne zur Schule ging. Die fantastische Fabel nahm allerdings trotz des vielversprechenden Starts zum ersten Kapitel eine bittere Wende, die so gar nicht ins Bild passt, welches sich die Fans der Steelers in ihren Träumen aus Feenstaub gezeichnet hatten.
Kenny Pickett orchestrierte zwar eine 20:10-Führung seiner Mannschaft, unter anderem mit zwei toughen Touchdowns-Runs seinerseits, stand aber hinterher zusammen mit seiner Defense hinter dem Tresen der Wohlfahrtsausgabe, an der man glücklichen und opportunistischen New York Jets ihren zweiten Saisonsieg in die Tasche lud. Pickett leistete sich zwei Interceptions und einem schwachen Pitch zu Runningback Jaylen Warren, der einem jener Picks vorausging. Selbst wenn man Pickett seine dritte Interception bei der finalen Hail Mary nicht ankreiden oder seine Receiver Chase Claypool und Pat Freiermuth in die Pflicht nehmen möchte, die beide eine Hand an seine Picks bekamen, so bleibt doch festzuhalten, dass Pickett am Ende eben trotz aller guten Ansätze wie ein Rookie spielte.
Mike Tomlin will sich nicht auf Pickett festlegen
Schlimm ist das aber keineswegs, denn schließlich ist er genau das – ein unerfahrener Neuling. Noch dazu einer, der in der letzten Woche laut Medienberichten nicht eine Serie mit der Startformation im Training üben durfte, was seine langen Scoring Drives umso beeindruckender dastehen lässt. Im vierten Viertel stand er bei einem Play bis zur letzten Millisekunde in der Pocket, um einen First Down Pass in der Mitte zu Pat Freiermuth anzubringen, obwohl Jets-Defensive-Tackle Quinnen Williams einen mit der vollen Wucht seiner 140 Kilogramm verpasste. Pickett lächelte hinterher seinen Gegenüber freudestrahlend an. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der vielen positiven Effekte, die Kenny Pickett auf seine Mitspieler und das Umfeld in Pittsburgh hatte, scheint es wie vorweggenommen, dass er nächste Woche beim Auswärtsspiel in Buffalo das erste Mal als Starter in einem NFL-Spiel auflaufen darf. Oder etwa nicht, Mike Tomlin?
Kenny Pickett all smiles after taking a shot and delivering a strike (via @TheMicDr) pic.twitter.com/9zeEfU3fTf
— NFL Rookie Watch (@NFLRookieWatxh) October 2, 2022
Der Head Coach der Steelers ist sich da nicht so sicher, zumindest nach außen hin. Das hat sicherlich teilweise gute, andererseits aber auch vielleicht ziemlich unerklärliche Gründe. Einerseits will der konservative und bedächtige Tomlin sicherlich den kommenden Gegner aus Buffalo im Unklaren lassen, wer denn nun hinter dem Center stehen wird, gleichzeitig benötigt sein Team, ja vielleicht die gesamte Franchise etwas, an dem sie sich hochziehen kann. Und es gab auch einmal Zeiten, in denen es den Steelers ganz egal war, was andere denken, sie bestimmten, welchen Lauf die Dinge nehmen. Und sie sind seit jeher eine Organisation, die mit einer ordentlichen Portion Selbstsicherheit einen Weg beschreitet, von dem sie genau wissen, wo er hinführt.
Ist Kenny Pickett die Zukunft bei den Pittsburgh Steelers?
Mitch Trubisky hat jedenfalls bewiesen, dass er eher eine Sackgasse für die Steelers ist, Offensive Coordinator Matt Canada ist mit ihm falsch abgebogen und längst angezählt. In eben jener Kombination funktionierte die Offense aufgrund von gähnender Entscheidungsgeschwindigkeit, mangelnder Übersicht und flächendeckendem Mismanagement überhaupt nicht und entwickelte sich zu einer der schwächsten Units der frühen NFL-Saison. Kenny Pickett wird es aufgrund der porösen Offensive Line der Steelers und dem rieselnden Sand im Laufspiel-Getriebe sicherlich auch schwer haben, irgendwelche Wunderdinge zu vollbringen. Noch dazu, weil in den kommenden vier Wochen mit den Bills, den Bucs, Miami und den Nachbarn aus Philadelphia echte Brocken im Weg liegen. Was aber nicht heißt, dass er nicht derjenige sein sollte, der sich mal beim Heben versuchen darf.
Denn wie die eingangs erwähnten Rufe zeigten, Kenny Pickett hat das Versprechen einer besseren Zukunft auf der Habenseite. Die Steelers müssen gleichwohl schnellstens wissen, was sie an ihm haben, und welche Saison wäre da besser geeignet als diese aktuelle, in der man wohl schweren Herzens konstatieren muss, dass eh ein gewisses Umkrempeln des eigenen Kaders von Nöten ist. Offensiv könnte dieser Schritt schneller vor sich gehen, als man denkt, wenn nämlich Kenny Pickett zeigt, dass er das Zeug zum guten NFL-Starter hat. Wenn er dies nicht beweist, dann kann man sich im nächsten Draft oder spätestens dem danach umorientieren. Es sind sicherlich nicht die Gedanken, die man sich nach vier Wochen NFL-Saison als Fanbase machen will, aber die Realität scheint in Pittsburgh derzeit wenig anderes zuzulassen.
Was unter anderem die Sehnsucht im langgezogenen „Ken-ny“ mehr als nur erklärt.
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