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NFL - National Football League

Zum Tod von Larry Allen: “The Great Wall Of Dallas“

Viel zu früh verstorben: Larry Allen (#73) - Foto: IMAGO / USA TODAY Network

In den 1990er Jahren erlebten die Dallas Cowboys um Troy Aikman, Emmitt Smith und Michael Irvin eine große Dynastie, die zu drei Super Bowls in vier Jahren führte. Das Rückgrat jener legendären Teams bestand aber nicht bloß aus filigranen Technikern, sondern stützte sich vor allem auf eine unvergessliche Offensive Line.

Eine Wand hat immer irgendwie etwas Stoisches, etwas Ruhiges. Felsenfest im Boden oder seinem Umfeld verankert ist sie Teil eines Gesamtkonstrukts, dass neben statischem Stemmen gewaltiger Massen vor allem ihren begrenzenden Charakter schätzt. Wände gibt es in vielen Formen, gemauert aus roten Backsteinen, sorgsam und feinfühlig verputzt oder wackelnd aus notdürftigen Materialien. Manche sind hoch, andere dick, viele scheinen für alles und jeden undurchdringlich. Es gab allerdings auch einmal eine Wand, die zwar auch viele der besagten Vorzüge von Raumbegrenzungen in sich vereinte, die aber gleichzeitig noch viel mehr war. Jene berühmte Wand bewegte sich, mehr noch, sie begrub alles und jeden unter sich, egal ob er ein Trikot anhatte oder nicht. Jene Wand lebte – schneller, wahnsinniger und teilweise unvergesslicher als viele andere. Weshalb man sich an sie auch immer noch erinnert – an die “Great Wall Of Dallas“.

Wenn sich ihre Mitglieder Jahrzehnte nach ihrer großen Zeit bei den Dallas Cowboys wiedertreffen, dann haben sie viele Geschichten zu erzählen. Nate Newton, Kevin Gogan, John Gesek, Mark Stepnoski, Erik Williams oder auch Hall Of Famer Larry Allen, der spät als prominenter Lückenfüller in die Wand eingearbeitet wurde, können sich von legendären Spielen und rauschenden Partys erzählen. Von Tagen, an denen sie gegnerischen Defensive Lines die Furcht in die Augen trieben und ihnen gleichzeitig jeglichen Mut aus den Herzen raubten. Auch sind jene Nächte von damals unvergessen, in denen sie oftmals noch heller strahlten als in den Momenten, als sie den berühmten Stern auf ihren Helmen trugen. Noch jemand kommt in dieser Geschichte als fester Bestandteil, ja sogar als Teil des Fundaments der berühmten Wand vor. Aber Mark Tuinei kann zu keinen Treffen seiner ehemaligen Weggefährten kommen, er muss von den Wolken oder einem anderen weit entfernten Ort zusehen. Seine Vita und letztendlich auch sein tödliches Schicksal sind symbolisch für viele Mitglieder der “Great Wall“, sowohl durch das Leben an der sprichwörtlichen Klippe als auch durch jene Tragik, die so mancher falscher Schritt nach sich zog.

Eine Ansammlung von Außenseitern

Bevor sie ihren Namen in Anlehnung an die große chinesische Mauer erhalten interessiert sich so gut wie niemand für die Wege der späteren Cowboys-Line-Helden, die Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre eine der besten Frontlinien in der Geschichte der NFL formen sollen. Sie sind zunächst vielmehr ein willkürlich zusammengewürfelter Haufen an Außenseitern, die von irgendwo aus dem footballerischen Nichts kommen. An der Sacramento State, Florida A&M oder an der Central State sind sie fern der großen College-Bühnen von Columbus oder Tuscaloosa bloß Fußnoten in Scouting Reports, die Listen ihrer persönlichen Verfehlungen zeitweise länger als die ihrer spielerischen Stärken. Nate Newton und Mark Tuinei werden überhaupt nicht gedraftet, alle anderen ursprünglichen Mitglieder der “Great Wall“ hören ihren Namen nicht vor der dritten Runde. Ein paar von ihnen spielen lange eigentlich in der Defense und Ex-USFL-Profi Newton hat dermaßen viel Übergewicht, dass er sogar ein Sprintduell gegen den neuen Cowboys-Head-Coach Jimmie Johnson verliert.

“Man hatte mir vorher gesagt, dass er ein wenig zu viel auf die Waage bringt“, lächelt Johnson. “Aber als ich ihn sah, merkte ich, dass es etwas mehr als ein wenig war.“ Newton wie auch die anderen lassen lange die Ernsthaftigkeit für das Profigeschäft vermissen, leisten sich Prügeleien, Gefängnisaufenthalte sowie Drogen- und Partyexzesse. “Ich hätte ein ganzes Land in der dritten Welt mit dem Geld subventionieren können, dass ich in den 1980er Jahren verbraten habe“, scherzt der massige Newton einmal, der mit seinen Millionen-Dollar-Lächeln und jovialen Persönlichkeit zu so etwas wie dem Anführer der Line heranreift und der bald den Spitznamen “The Kitchen“ bekommt, wiegt er seiner Zeit doch sogar noch mehr als der berühmte Bears-Nose-Tackle William “Refrigerator“ Perry. So wie Newton nach besagtem Rennen gegen Johnson sein Schicksal ernster und in die Hand nimmt, schaffen auch viele seiner Kollegen bald im Trikot der Cowboys die Wende. Es ist eine persönliche Auferstehung, die bald einhergeht mit der kollektiven der gesamten Franchise.

Denn bald stehen Newton, Gogan, Gesek, Tuinei und der eigentlich viel zu klein geratene Mark Stepnoski einer Skill-Position-Riege vor, die in der damaligen NFL Ihresgleichen sucht. Aber keine der großen Leistungen der “Triplets“ Troy Aikman, Michael Irvin und Emmitt Smith ist denkbar, ohne die Wand, welche sie über Jahre beschützt. Es ist eine Unit, die abgesehen vom technisch brillanten Center Stepnoski vor allem auf eines setzt – brutale Wucht und Masse. Gemäß dem Motto, dass in Texas alles ein klein wenig größer ist, bilden die Hünen der Cowboys ein imposantes Bild ab, welches 1991 durch den Right Tackle Erik Williams sein finales, furchteinflößendes Antlitz erhält. Als ehemaliger Boxer wächst er auf den rauen Straßen Philadelphias auf, die Wut vergangener Tage nimmt er mit in die NFL. Kevin “Big Nasty“ Gogan hält stets Schritt und beendet jeden Block erst, wenn die Pfeife des Schiedsrichters schon lange verstummt ist, warum ihn nicht wenige lange Zeit als den dreckigsten Spieler der Liga bezeichnen.

Heldenhafte Hünen

Der gigantische Tuinei besitzt ebenfalls schier unbändige Kraft und einen Hauch innerer Dunkelheit, den sich der eigentlich freundliche Riese aus seiner kriminellen und wilden Jugend auf Hawaii bewahrt hat. “Wenn du irgendwann mal in einer dunklen Gasse festsitzt und rauskommen willst, dann ist Mark dein Mann“, erinnert sich Hall Of Famer Randy White, der einst mit Tuinei in der Defensive Line der Cowboys auflief. Stepnoski, der als liberaler Freigeist zu seiner komplett eigenen Musik marschiert, und Newton, der aufgrund reichlichem Verzehr ausladender Butterbrote zeitweise bis zu drei Sandwiches im Coppell Deli in Dallas nach sich benannt bekommt, komplettieren ein Sammelsurium an Charakteren, die nicht zusammenpassen dürften, die es aber doch tun. Vor allem sportlich.

“Die Gegner hassten es damals gegen uns zu spielen und das hatte vor allem mit den Jungs ganz vorne zu tun“, sagt Emmitt Smith, bis heute der erfolgreichste Rusher der NFL-Geschichte. “Die ganze Woche über hatte man Albträume, wenn man am Sonntag dieser Line und ihrer Power ausgesetzt war.“ Smith selbst profitiert wohl am meisten von eben jener martialischen Gewalt, die gegnerische Verteidigungen im Stile von Moses auseinanderdividierte, als jener im Buch Exodus das rote Meer teilte. Fullback Daryl “Moose“ Johnston und Tight End Jay Novacek sind körperbetonte Helfer beim Planieren des Feldes, sie komplettieren eine Art unaufhaltsame Walze in Blau, Silber und Weiß. Kaum eine Mannschaft hat Dallas‘ Offensive etwas entgegenzusetzen und so stürmt “America’s Team“ 1993 zum Titel in Super Bowl XXVII. Im Januar des folgenden Jahres schon kehren die Cowboys ins Endspiel zurück, wie schon im Vorjahr geht es gegen die Buffalo Bills. Diese liegen zur Halbzeit zwar noch mit 13:7 in Front, aber nach der Pause sollen die Mitglieder der “Great Wall Of Dallas“ ihr vielleicht größtes Meisterstück abliefern. Mitte des dritten Viertels schieben sie zu sechs aufeinanderfolgenden Power Running Plays an und lassen Emmitt Smith den wütenden Drive per Touchdown Run abschließen. Dallas jubelt, sehr zum Leidwesen der konsternierten Gegner. “Man konnte es in ihren Augen sehen, dass sie in diesen Momenten der Mut verließ“, beschreibt Smith den nachhaltigen Effekt, welche seine Vorderleute auf eine Defense haben konnten. “Es gab nichts, was sie in dem Moment hätten tun können.“ Am Ende heißt es 30:13 für die Cowboys, die damit ihren Anspruch untermauern, neben einem Champion sogar ein historisches Team zu sein.

Jenes Mindset dominiert im Locker Room und auf dem Feld den Alltag, abseits des Feldes aber herrscht zeitweise heilloses Chaos. Auch hier ganz vorne mit dabei: Die Offensive Line, die ihrem “Larger Than Life“ Status auch im texanischen Nachtleben alle Ehre macht. “Ich habe ihnen immer gesagt, dass sie die Tage vor einem Spiel Nachts im Bett sein sollen“, erinnert sich Jimmie Johnson immer noch leicht resigniert. “Mir war egal, in welchem Bett sie waren, aber sie sollten nicht die ganze Nacht durch irgendwelche Stripclubs streifen.“ Letztendlich ist es genau das, was viele der Cowboys in jenen wilden Tagen tun. Die Stars baden im Ruhm, in Alkohol, Frauen und in Drogen. Bis in der schicksalsträchtigen Nacht des 24. Oktober 1994 die Party auf einmal vorbei zu sein scheint. Nach einem Besuch eines Nachtclubs in Irving, Texas, rast Erik Williams mit seinem Mercedes in eine Leitplanke. Zwar ist er zur Zeit des Unfalls nicht betrunken, fährt aber fast 70 km/h über dem erlaubten Tempolimit. Verheerende Verletzungen seiner Knie, Rippen und Hände stoppen von einem Moment auf den anderen eine der vielversprechendsten Karrieren der damaligen Liga, in welcher viele „Big E“ als das Nonplusultra auf der Offensive-Tackle-Position ansehen.

Das letzte große Hurra

Nach einem titellosen und durch den Schock geprägten Jahr steht Williams 1995 wieder für Dallas im Starting Lineup. Ihm gegenüber wartet im ersten Saisonspiel Michael Strahan, Defensive End der New York Giants, der von Williams mit seinem bitterbösen Blick sowie folgenden Worten begrüßt wird: “Ich bin zurück und werde dir in den A… treten. Und wenn ich es nicht mache, dann besorgt dass der Typ hier neben mir.“ Die Rede ist von Larry Allen, dem jüngsten Zuwachs der “Great Wall“, die zuvor aufgrund der jungen NFL Free Agency mit Gogan, Gesek und Stepnoski drei prominente Mitglieder einbüßen musste. Allen soll sich in der Folgezeit zu einem der vielleicht besten Guards entwickeln, welche die NFL jemals gesehen hat. Auch er erlebt mit den Cowboys noch einmal ein großes Hurra und holt unter der neuen sportlichen Führung von Barry Switzer den dritten Super Bowl in vier Jahren, doch der Sonnenuntergang ist im Rücken der großen Mauer von Texas bereits zu erkennen. In den nächsten Jahren beenden fast alle Teile der legendären Offensive Line ihre Karrieren und sehen sich mit der schwierigen Aufgabe konfrontiert, ein Leben fernab der schillernden Lichter der NFL zu führen.

“Wenn du nicht ganz schnell Harmonie in deinem Alltag findest, dann kann dich das komplett aus der Bahn werfen“, meint Newton über die schwierige Zeit nach dem Karriereende. “Man kann sich nicht erst langsam daran gewöhnen, von einem Tag auf den anderen nicht mehr ganz oben und fast vergessen zu sein.“ Williams zum Beispiel verliert sich mehrfach in Gewaltexzessen nach dem Ruhestand und auch Newton weiß, wovon er redet. Er wird bei illegalen Hundekämpfen und beim Drogenhandel erwischt, muss für letzteres Vergehen sogar mehrere Jahre ins Gefängnis. Kurz vor der Inhaftierung trifft er seinen Sohn, der ihn fragt: “Daddy, kommst du am Wochenende zu meinem Footballspiel?“ Newton gesteht ihm schweren Herzens, dass er für lange Zeit nicht kommen kann. Zeit, in welcher er aber sein Leben komplett umkrempelt. Fortan spricht er vor Jugendlichen über seine Erfahrung, findet Erfüllung als Kommentator. Seine zeitweiligen fast 190 Kilogramm Körpergewicht reduziert er dank einer Magenverkleinerung um circa die Hälfte. John Gesek hat ähnlichen Erfolg als Anlagenberater und Immobilienhändler, Mark Stepnoski zieht nach Kanada, er frönt dort so mancher Verschwörungstheorie und setzt sich für die Legalisierung von Cannabis ein. Kevin Gogan lebt ein bescheidenes Familienleben im Bundesstaat Washington.

Nur einer der Hünen von einst ist nicht mehr – Mark Tuinei. Zwei Jahre nach seinem letzten NFL-Spiel und einem Teamrekord von 15 Jahren bei den Dallas Cowboys findet man ihn tot in seinem geliebten Oldtimer, die Diagnose lautet unabsichtliche Überdosis. Bei der Beerdigung sind die Weggefährten von einst wieder da, erinnern sich an die großen Tage und langen Wege, die sie zusammen gegangen sind. Als die “Great Wall Of Dallas“, die zwar immer wieder Risse zeigte, letztendlich aber vielleicht fester stand, als jede Offensive Line in der Geschichte der NFL.

Infobox I:

Die Bausteine der “Great Wall“

  • Nate Newton, Guard/Tackle, 1986 bis 1998, 6 Pro Bowls
  • John Gesek, Guard/Center, 1990 bis 1993
  • Mark Stepnoski, Center, 1989 bis 1994, 1999 – 2001, 5 Pro Bowls
  • Mark Tuinei, Tackle, 1983 bis 1997, 2 Pro Bowls
  • Erik Williams, Tackle, 1991 bis 2000, 4 Pro Bowls
  • Kevin Gogan, Guard/Tackle, 1987 bis 1993, 3 Pro Bowls
  • Larry Allen, Guard, 1994 bis 2005, 11 Pro Bowls

Infobox II:

Plötzlich und unerwartet ist Larry Allen im Alter von nur 52 Jahren während eines Familienurlaubs in Mexiko verstorben, die Todesursache wurde noch nicht bekannt gegeben. Allen hinterlässt seine Ehefrau Janelle, sowie seine Töchter Jayla und Lorianna und Sohn David Allen III, der 2019 als Undrafted Free Agent ebenfalls bei den Cowboys unter Vertrag stand. Papa Allens NFL-Karriere begann 1994 nach seinem Draft in der zweiten Runde. Zwölf Jahre spielte er für die Dallas Cowboys, ehe er seine Karriere zwei abschließende Jahre bei den San Francisco 49ers ausklingen ließ. Er gewann einen Super Bowl, landete sechsmal mit First Team All-pro und einmal im Second Team All-Pro. Hinzu kommen elf Berufungen in den Pro Bowl. 2013 wurde er für seine Verdienste in die Pro Football Hall of Fame aufgenommen, zusätzlich befindet er sich im NFL 1990s und 2000s All-Decade Team, im NFL 100th Anniversary All-Time Team und im Dallas Cowboys Ring of Honor.

Der Text stammt aus unseren Print-Ausgaben / Autor: Moritz Wollert

 

Über den/die Autor/in
Moritz Wollert
Moritz Wollert
Moritz Wollert schreibt für TOUCHDOWN24 u.a. über die NFL. Für das monatliche Print-Magazin schreibt er u.a. die NFL History Artikel

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