Zwischen Weihnachtsfestschmaus und knallenden Neujahrskorken herrscht in der NFL in diesen Tagen Hochspannung. In den letzten zwei Saisonwochen geht es für nicht wenige Mannschaften um alles, womit ein enormer Druck auf vielen Spielern lastet. Ganz besonders auf jenen, die etwas zu beweisen haben!
Der Duden beschreibt das Narrativ als eine zeitweilig verbindende „sinnstiftende Erzählung“, die gemeinhin in vielerlei Bereichen des Lebens vorkommt. Nicht nur in der Politik ist es längst ein geflügeltes Wort geworden, wo oftmals blasse Talkshowgäste mit ihm Schaum schlagend um sich werfen, auch im Sport kennt man sich hüben wie drüben des Atlantiks damit aus. Schließlich meißelt jedes einzelne Team in jeder Saison an seiner ganz eigenen Geschichte, welche Jahr für Jahr immer größer wird. Es gilt auch, ja vielleicht sogar ganz besonders, für einzelne Spieler, die als Individuen aus der großen Masse Leibchen Tragender hervorstechen. Gerade an den Leistungsträgern, den Kapitänen und den großen Stars werden Erfolg wie Misserfolg exemplarisch festgemacht. Und schneller als man denkt ist es da, das Narrativ.
In der NFL kann es mit einem exorbitant hohen Druck verbunden sein, so man nicht gerade einer aus dem ganz besonders talentierten Olymp ist, in dem sich nur auserwählte Namen wie Tom Brady oder Patrick Mahomes auf wohlig weichen Wolken räkeln dürfen. Sie haben bereits bewiesen, dass sie Gewinner sind, dass sie Titel für ihre Mannschaften holen können und dass sie zu den ganz Großen ihres Fachs gehören. Zu jenen, welche die Jahrhunderte überdauern werden, um uns einer Formulierung aus einem eher mäßigen und dennoch unterhaltsamen Brad-Pitt-Sandalenfilm zu bedienen. Wie außerordentlich fragil ein Ruf und das mit ihm verbundene Narrativ in der National Football League sein können, zeigt ein Blick auf einen eigentlich ebenfalls als Überspieler bekannten Profi.
In der NFL will ein Ruf gepflegt werden
Aaron Rodgers weiß einen Super-Bowl-Klunker an seinem Finger, aber jener wirkt in diesen Tagen fast ein bisschen eingestaubt, wenn man sich eines derartigen Frevels bedienen möchte. Selbiges tun die MVP-Trophäen von „A-Rod“ natürlich beileibe nicht, dafür flüstert man hinter vorgehaltener Hand irgendwie aber doch oft, warum der Mega-Quarterback der Packers es eben nicht geschafft hat, weitere Titel nach Green Bay zu holen. So konstruiert oder realitätsfern manche solcher Erzählungen sein mögen, so schwer ist es sie umzuschreiben. "Ist der Ruf erst ruiniert"… kennt man ja. Im schnelllebigen Geschäft der NFL aber kann die Kehrtwende manchmal schneller kommen, als man denkt. Es reichen ein paar Wochen, ein paar Spiele, die Fortuna auf einmal wieder lächeln lassen können.
Für Aaron Rodgers tut sie es in diesem Jahr wohl trotz eines beachtlichen Saisonendspurts nicht mehr, selbst wenn er mit seinen Packers noch die Playoffs erreichen sollte. Aber es gibt eine ganze Reihe von Akteuren, die in den letzten beiden Wochen der regulären NFL-Saison etwas zu beweisen und die Möglichkeit haben, ihr eigenes Narrativ zu bestimmen. Das berühmte Zünglein macht in jenen Fällen natürlich der Kampf um die Postseason aus, welchen nicht wenige der Protagonisten zum ersten Mal begehen.
Tua und andere wollen in die NFL Playoffs
Da wäre zum Beispiel ein Tua Tagovailoa von den Miami Dolphins. Er ist zwar in dieser NFL Saison einen deutlichen Schritt nach vorne gegangen und hat sich dabei eines der besten Receiving-Duos der letzten Jahre zunutze gemacht, aber die Formkurve geht zuletzt er gen Süden als in die richtige Richtung. Erschwerend kommen die erneuten Nachrichten über eine weitere Gehirnerschütterung dazu. Was würde ein später Kollaps für den jungen Signal Caller bedeuten? Definitiv einen Rucksack voller Zweifel, mit welchem er in den wohlverdienten Urlaub reisen würde. Andere Quarterbacks haben es da schon einfacher. Trevor Lawrence von den Jaguars oder Jets-Hoffnungsträger Mike "F’n" White zum Beispiel würden selbst im Falle eines Verpassen der Playoffs keine Vorwürfe hören, auch wenn letzterer in diesen Tagen wohl um seine sportliche Existenz als Starter in der NFL fightet.
Who is the biggest threat going into the #NFL playoffs? pic.twitter.com/TwbuME1TDg
— Sunday Night Football on NBC (@SNFonNBC) December 27, 2022
Auch andere Quarterbacks sind Tagovailoa sicherlich einen Schritt voraus, was ihre Postseason-Tauglichkeit angeht, schließlich weiß mittlerweile jeder, dass Spieler wie Kirk Cousins, Jalen Hurts, Dak Prescott oder Lamar Jackson ihre Mannschaften ins spannungsgeladene Feld der Nachsaison führen können. Hier werden aber gerade die letzten beiden Namen mit Argusaugen betrachtet werden, schließlich sind sie bisher den Beweis schuldig geblieben, dass sie in den Playoffs auch wirklich etwas reißen können. Dieses Label können sie nur auf eine Weise loswerden, indem sie es mit fulminanten Leistungen und ein paar Siegen in Serie selbst abschütteln. Das ist nicht ganz einfach und manchmal vielleicht etwas hart für sie als Teil eines gesamten Mannschaftsgefüges, aber letztendlich bekommen sie ja auch nicht wenig Kompensation für diese Art des Zeitvertreibs. In Jacksons Fall geht es in den diesjährigen Playoffs sogar wohl direkt um eben jene.
Die Bills und Josh Allen wollen die NFL-Krone
Josh Allen muss sich bei den Buffalo Bills wohl wenig Sorgen machen, ob er im Supermarkt auch in Zukunft noch sein Lieblingsmüsli bezahlen kann. Dafür könnte ihm aber ein ebenfalls einkaufender Mafia Member an der Fleischtheke doch die ein oder andere unangenehme Frage stellen, sollte es in dieser Saison wieder einmal nichts mit einem Super Bowl Einzug werden. Ganz besonders bohrend dürften die Bills-Begeisterten sein, falls ihre Mannschaft wieder einmal an ihrem Kryptonit aus Kansas City scheitert. Irgendwann nämlich wird es persönlich, auf wie neben dem Feld. Und so brillant Allen zuletzt bei seinen Postseason-Auftritten agiert hat, so schnell wird eben das in
Vergessenheit geraten, wenn die aktuelle Headline nicht die gewünschte ist.
Gleiches gilt übrigens nicht nur für die werfende Zunft, sondern auch für die Männer, die ihnen von der Seitenlinie aus zusehen. Sean McDermott hat die Bills-Herde zu einem echten Powerhouse hochgezüchtet, womit er allerdings auch Erwartungen in die Höhe geschraubt hat. Mit derartigen Vorgaben kennt sich Mike McCarthy in Dallas ebenfalls aus, erst recht, wenn er einen verpassten Anruf von Jerry Jones auf dem Display sieht. Immerhin sitzt ein gewisser Sean Payton ja irgendwie auch schon auf gepackten Koffern. Aber das ist im Moment noch Zukunftsmusik, nun zählt für alle Beteiligten erst einmal das Hier und Jetzt. Mit all seinen Chancen.
Unter anderem mit jener, selber am eigenen Narrativ zu basteln. Oder vielleicht sogar noch etwas viel Wichtigeres zu tun…