Die Kansas City Chiefs starten Freitagnacht deutscher Zeit ihren nächsten Angriff auf den Super Bowl, es wäre der dritte NFL-Titel in den letzten fünf Jahren. Manchmal scheint es dabei so, dass es egal ist, wer für die amtierenden Champions aufläuft, Patrick Mahomes und Andy Reid richten es am Ende schon. Aber ist das wirklich so?
So ziemlich jeder kennt in deutschen Landen die berühmten Worte Gary Linekers, des einstigen legendären Stürmers der englischen Fußball-Nationalmannschaft, der einmal sinnierte: „Fußball ist ein einfaches Spiel. 22 Männer jagen 90 Minuten einen Ball und am Ende gewinnen immer die Deutschen.“ Ach britischer Humor, wie muss man dich mögen!
Während die derzeitige DFB-Elf solche Lobeshymnen vollkommen unvorstellbar macht und eigentlich nicht viel zu lachen hat gibt es zumindest vielleicht in der modernen NFL ein vergleichbares Beispiel, auf welches das Bonmot des Engländers passen würde. Es scheint nämlich in den letzten Jahren so, dass die Kansas City Chiefs Jahr für Jahr anstellen können was sie wollen, am Ende der Saison sprechen sie immer ein gehöriges Wort um den Super Bowl mit. Zwei Mal hatten sie in den vergangenen vier Jahren sogar das letzte Wort, holten den Titel und ließen nicht wenige schon über eine neue große NFL-Dynastie nachdenken. Nicht zuletzt, weil sie in den anderen beiden Jahren erst im AFC Championship beziehungsweise im Super Bowl scheiterten.
Patrick Mahomes und Andy Reid halten den Laden zusammen
Auf den ersten Blick sind natürlich vor allem zwei Gesichter mit jenen Erfolgen verbunden: Andy Reid und Patrick Mahomes. Gerade Letzterer füllt jene in der NFL so ersehnte Position des überragenden Franchise Quarterbacks aus, bei der nach Besetzung alle anderen Puzzleteile schon irgendwie zueinander finden. So schien es damals auch bei Tom Brady zu sein, der etliche Spielzeiten nicht unbedingt ein All-Star-Team um sich herum vorfand, dennoch aber irgendwie immer im engsten Favoritenkreis zu finden war. Reicht die Kombination aus einem großartigen Quarterback und einem überragenden Trainer also, um in der NFL ganz vorne mitzuspielen?
Teilweise lassen es im Fall der Chiefs die vergangenen Jahre durchaus vermuten. Receiver wechseln hin und her, die Offensive Line wird immer wieder fleißig durchgetauscht und man lässt zeitweise selbst verdiente Namen wie Tyreek Hill oder Tyrann Mathieu ziehen, die auf beiden Seiten des Balles wichtige Rollen innehatten. Patrick Mahomes und Andy Reid machen es möglich. Sie haben diesen besonderen Effekt, lassen Spieler besser aussehen, als sie eigentlich sind, sie brauchen vor allem Profis, die Rollen erfüllen und gar nicht unbedingt Pro Bowl Aspiranten sein müssen.
Dabei sollte man allerdings nicht vergessen, dass die Chiefs nicht nur aus Patrick Mahomes und einem Haufen Karnevalsclowns bestehen – im Gegenteil. Das würde in der NFL auch gar nicht funktionieren. Football ist ein viel zu kompliziertes und in sich verschachteltes Spiel, als dass Individuen alleine Spiele entscheiden könnten. Es macht einen Teil seiner Faszination aus, dass es den Charakter eines ultimativen Teamsports eigentlich nie verlieren kann – ganz egal wie sehr eine auf Persönlichkeiten ausgerichtete Berichterstattung es den Zusehenden glauben lassen möchte.
Die Kansas City Chiefs sind mehr als Patrick Mahomes
Die Kansas City Chiefs sind hier ebenfalls ein gutes Beispiel. Patrick Mahomes bekommt nicht zu Unrecht sehr viel Publicity und Aufmerksamkeit, letztendlich gibt es aber noch ein paar andere Spieler neben ihm, ohne die es wohl in Kansas City nicht gehen würde. Anders könnte man das Flehen von dem einen namens Travis Kelce nicht interpretieren, der quasi auf verbalen Knien den anderen namens Chris Jones darum bittet, seinen jüngst angetretenen Holdout zu beenden. Ein Teil davon ist sicherlich einfach eine menschliche Emotion innerhalb der NFL-Bruderschaft, ein zweiter allerdings wohl auch das Wissen um die Wichtigkeit anderer Akteure fernab des Quarterbacks.
The 53 man. pic.twitter.com/0ntt99Rmfc
— Kansas City Chiefs (@Chiefs) September 5, 2023
Die Chiefs-Defense schwimmt stets in einem relativ kleinen Beiboot zum gewaltigen Offensiv-Dampfer von Mahomes, Kelce und Co, sie ist in der Regel darauf ausgelegt, mit einem Vorsprung im Rücken aggressiv das gegnerische Passspiel zu limitieren. Mal macht sie es besser, mal schlechter, sie ist aber in den letzten Jahren immer abhängig von genau einem Mann – Chris Jones. Er ist der Unterschiedsspieler in der Mitte, der alle anderen um sich herum besser macht, der den Cornerbacks kürzere Arbeitszeiten und den Linebackern größere Löcher beschert. So sehr auch andere Akteure in der Chiefs-Defense über absolute Qualität verfügen, Jones ist das Zünglein an der Waage.
Ganz so weit würden viele bei Travis Kelce wohl nicht gehen, auch wenn er ohne Zweifel eine Karriere zusammengebastelt hat, die ihn sicher unter den besten Tight Ends aller Zeiten rangieren lässt. Aber gleichsam gehört er zu einem Receiving Corps, dass jedes Jahr eigentlich munter hin und her getauscht wird. Eine Riege, die keinen Tyreek Hill braucht, um Super Bowls zu gewinnen. Die auch jetzt zwei seiner prominenteren Namen in Juju Smith-Schuster und Mecole Hardman ziehen lassen konnte. Mahomes ist ja noch da, Kelce aber eben auch. Und so sind sie bisher zumindest beide als absolute Konstanten zu sehen, die vermutlich unverzichtbar sind.
Kansas City Chiefs starten gegen die Detroit Lions
Genauso ist es mit einem anderen entscheidenden Mannschaftteil. Wie die Super Bowl Klatsche 2021 gegen die Tampa Bay Buccaneers bewies, kann auch ein Patrick Mahomes mit lauter schwergewichtigen Typen in gegnerischen Trikots vor seiner Nase nur wenig ausrichten. Mehr noch, wenn die Offensive Line nicht steht, dann fällt das gesamte Kartenhaus, was Andy Reid und die Seinen vorher minutiös zusammengebastelt haben, in sich zusammen. Dementsprechend logisch waren die heftigen Investitionen in die O-Line nach besagter Super Bowl Niederlage. Auch ein nach außen als lückenlos erscheinendes System ist eben von so vielen Variablen abhängig und kann ab einem gewissen Punkt einfach kein beliebiges Personal verkraften.
Das bedeutet natürlich nicht, dass die Maschine der Kansas City Chiefs in der anstehenden Saison nicht auch einfach so weitermachen kann wie in den letzten vier Jahren. Vielleicht zeigt sich im diesjährigen Eröffnungsspiel gegen die Detroit Lions aber auch Sand im Getriebe, höchstwahrscheinlich ohne Chris Jones und ganz sicher mit einer umgebauten Offensive Line. Sicher sein kann man sich da jedenfalls nicht. Sorry, Gary!