Rashee Rice hat sich dieser Tage nach langem Schweigen zu seinem andauernden Gerichtsverfahren wegen eines illegalen Autorennens geäußert. Der Receiver der Kansas City Chiefs hätte es dabei fast geschafft, die Vorgaben der PR-Abteilung zu erfüllen. Aber eben nur fast!
Fast hätte es geklappt. Ein paar Floskeln hier, ein bisschen Lächeln dort, bloß nicht angreifbar machen. Verdammt nochmal, dann kam da tatsächlich noch eine Nachfrage! Und schließlich stolperte Rashee Rice doch noch über seine Worte und offenbarte eine besorgniserregende Wahrnehmung, die er in Gänze mit seinem Arbeitgeber und der NFL zu teilen scheint.
Als kurze Erinnerung: Der junge Wide Receiver der Kansas City Chiefs baute am 30. März in Dallas einen mächtigen Autounfall, weil er mit seinem Lamborghini ein Autobahnrennen gegen eine von ihm gemietete Corvette veranstaltete und neben den eigenen Boliden vier weitere Fahrzeuge beschädigte. Er und vier Bekannte verließen die Unfallstelle, ohne sich der Gesundheit der anderen Beteiligten zu versichern, von denen anschließend zwei in einem Krankenhaus behandelt werden mussten. Vielleicht waren Rice und Co ja noch vom damals präsenten Marihuana auf dem Rücksitz oder der eigenen Höchstgeschwindigkeit berauscht, schließlich rasten sie mit circa 119 Meilen pro Stunde über die Straße. Erlaubt waren 70, in kmh bedeutet das eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 79 Kilometern in der Stunde. Anschließend stellte sich Rice doch noch den Behörden, seitdem läuft ein Verfahren gegen ihn wegen acht verschiedener Anklagen.
Rashee Rice bringt blutleere Entschuldigung
Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass Rice sich in den letzten zwei Monaten eher bedeckt gehalten hat. Nun aber sprach er bei einem Football-Jugendcamp erstmalig mit der Presse und gab sich im ersten Moment vermeintlich geläutert. Phrasen wie „Ich habe so viel gelernt“ und „alles, was ich tun kann, ist daran zu wachsen“ klangen gut, die PR-Abteilung der Kansas City Chiefs hatte offensichtlich ihren Job gemacht. Schuld zugeben, mit Statements Nachfragen abräumen, lächeln – läuft. Dann aber ging Rice nach einem letzten Insistieren eines Reporters doch noch ein bemerkenswerter Satz über die Lippen: „Accidents and stuff like that happen, but all you can do is move forward and walk around being the same person, try to be positive so that everybody can feel your love and your great energy”.
“Unfälle und sowas” passieren also, da muss man einfach „nach vorne schauen“ und „dieselbe Person bleiben“. Das Wort Unfall hier so lapidar in den Raum zu werfen, nachdem man aufgrund eigener Hybris und Sorglosigkeit fast den Tod mehrerer Menschen verschuldet hätte ist an Dreistigkeit nicht zu überbieten. Wer so etwas sagt hat letztendlich aus den Geschehnissen überhaupt nichts gelernt, der will einfach nur schnell wieder Football spielen. „By the grace of God“ – wie es bedeutungsschwanger für viele gläubige NFL-Profis immer heißt. Zum Glück hatten die anderen Verkehrsteilnehmer in diesem Fall auch einen Draht zum Allmächtigen oder irgendeinem anderen Schutzengel.
Chiefs setzen einen besorgniserregenden Trend fort
Rice steht mit seinen 24 Jahren noch ganz am Anfang seiner Karriere und ja, irgendwie wird er sicherlich etwas aus dieser Geschichte mitnehmen. Jeder macht einmal Fehler, nicht selten auch gravierende, die große Frage ist, wie man damit umgeht. Rice wird vermutlich von der NFL suspendiert werden und die rechtlichen Konsequenzen spüren, dennoch gilt das Prinzip der zweiten Chance bei derartigen Verfehlungen natürlich auch für ihn. Zum Glück kann es noch für ihn gelten, was leider nicht jedem vergönnt ist, wovon ein gewisser Henry Ruggs und die durch sein Verschulden verstorbene Tina Tintor ein trauriges Lied singen können. Die Makroebene ist in diesem für die NFL leider typischen Fall letztendlich aber die viel entscheidendere, sowohl aus der Sicht der Chiefs als auch aus jener der Liga heraus. Denn hier wird schon seit vielen Jahren besagte Einstellung zu derartigen Vorfällen kultiviert – Unfälle passieren ja schließlich und lassen sich hinterher mit einem kleinen Klaps auf das Handgelenk wieder wegwischen. Oder wie drückte es Chiefs-Receiver Kadarius Toney in vollster Anstrengung seiner Gehirnwindungen nach Ruggs‘ Todesfahrt aus: „We young… everybody makes mistakes.“
Diese Nonchalance ist in der NFL weitverbreitet, nicht zuletzt beim Arbeitgeber von Rashee Rice. Oder warum drafteten die Kansas City Chiefs einst Tyreek Hill, obwohl er seine schwangere Freundin am College verprügelt hatte? Warum verpflichtete man Frank Clark, nachdem auch dieser am College durch häusliche Gewalt aufgefallen war? Warum beschäftigte man Britt Reid, den Sohn von Head Coach Andy Reid, viele Jahre, nachdem dieser der Beihilfe zum Drogenhandel überführt wurde und er im Auto andere Verkehrsteilnehmer mit einer Waffe bedroht hatte? 2021 baute Reid Junior mit Alkohol und Pillen im Blut einen Unfall, der ein fünfjähriges Mädchen ins Krankenhaus beförderte. Nach etwa einem Drittel der Gefängnisstrafe wurde die Haft durch den Gouverneur von Missouri Mike Parson verkürzt. Letzterer feierte den 2023er Super Bowl seiner geliebten Chiefs übrigens mit einem Tattoo zu Ehren des Teams, zur Begnadigung äußerte er sich bisher nicht öffentlich.
Eine krankende NFL-Kultur
In letztem Fall mögen ursprünglich väterliche Gefühle von Andy Reid eine durchaus nachvollziehbare Rolle gespielt haben, vor allem, nachdem er bereits seinen ältesten Sohn Garrett 2012 durch eine Überdosis Heroin verloren hat. Eine Entschuldigung für den letztendlich verstörenden Trend können sie aber nicht sein. Die will man letztendlich auch gar nicht geben, schließlich ist es viel einfacher, in der Sonne seiner Erfolge zu baden und mit lustigen Cheeseburger-Anekdoten oder den öffentlichkeitssüchtigen Frat-Boy-Fantasien eines Travis Kelce von den Schattenseiten abzulenken. Die NFL macht das Ganze ein wenig galanter und großspuriger, verfasst sie doch zu allerlei Sachverhalten ausschweifende Statements, die oftmals aber mehr mit gähnender Leere als mit wirklicher Substanz glänzen. Oder wer nimmt Floskeln wie „Inspire Change“ vor dem Hintergrund immer wieder viel zu aktueller Missstände noch ernst?
Am Ende des Tages zählen, wie all das Wegschauen, all das Ignorieren und all das Relativieren unterstreicht, nur Siege, nichts anderes, was in der normalen Welt vielleicht von Belang sein mag. Jener ist die National Football League in vieler Hinsicht entrückt, ganz sicher in ihrer scheinbaren Willkür, mit der sie dem problematischem Verhalten ihrer eigenen Spieler begegnet. Hier wird etwas kultiviert, was in Einzelfällen bereits zu erschütternden Tragödien geführt hat und was in der Zukunft ohne eine 180-Grad-Wende zu weiteren führen wird. Online-Team-Foren der Chiefs beschäftigen sich schon jetzt eigentlich nur noch damit, wie lange Rice vielleicht wegen einer möglichen Suspendierung ausfallen könnte. Nicht, damit er für seine Fehler eine gerechte Strafe erhält, sondern damit man weiß, wie man eventuell zu Saisonbeginn den Kurs in Richtung Division Titel oder Super Bowl halten kann. Diese Situation wäre bei den anderen 31 Treams übrigens ähnlich. Tja, Kultur verfängt nun mal.
Und das ist dann letztendlich eben doch nicht einfach nur ein Unfall, sondern mutwillig herbeigeführt.