Charissa Thompson gestand zuletzt, dass sie in ihrem Job als NFL-Sideline-Reporterin öfter mal Zitate oder Informationen erfand, um ihre Reports ein wenig interessanter zu machen. Der Aufschrei aus der medialen NFL-Blase war gigantisch. Nur darüber hinaus muss man doch die Frage stellen: Warum eigentlich?
Was so ein kleines, im Großen und Ganzen doch eher unbedeutendes Podcast-Pläuschen doch alles auslösen kann, war Charissa Thompson vielleicht vor kurzem noch nicht wirklich klar. Dabei ist sie ja eigentlich schon lange genug im Geschäft dabei, um zumindest eine Ahnung davon haben zu können. Nun aber weiß die Sportreporterin es eben ganz genau, dass es eventuell doch keine so gute Idee war, als Medienpersönlichkeit nonchalant davon zu berichten, dass man als Sideline-Reporterin gerne mal Zitate und Informationen frei erfunden hat. Falls noch Zweifel bestehen, eine Armada aus anderen Sideline-Reporterinnen ist relativ eindeutig, wie sie so etwas findet. So berechtigt deren Kritik wie auf die Verurteilung des Vorgehens ist, muss man sich doch wundern, wie schnell aus einer kleinen summenden Nachrichten-Mücke ein gigantischer Elefant wird, der durch jegliche Publikationen trampelt.
Die NFL hat einen vermeintlichen Medienskandal
Von Tracy Wolfson über Lisa Salters bis hin zu Molly McGrath schütteten Kolleginnen und Kollegen einen Sturm der Entrüstung über Thompson aus, der im Wesentlichen darin bestand, diese Sparte des NFL-Kosmos zu heroisieren und Thompsons Vorgehen als den moralisch-ethischen Werteverfall schlechthin darzustellen. Spieler und Coaches würden ihnen „sensible Informationen“ anvertrauen, die „Glaubwürdigkeit“ des gesamten Berufsstandes sei in Gefahr und „junge Journalistinnen“ wurden direkt angesprochen, dass so etwas auf keinen Fall normal oder der Standard sei. Auch wenn so manche und so mancher der Versuchung nicht widerstehen konnte, diesen Vorfall in einer Grundsatzdiskussion über Frauen im Sportjournalismus münden zu lassen, sagt die Episode doch wohl eher etwas über heutige NFL-Medienarbeit an sich und über die Zeit aus, in der wir alle leben. Und in jener ist etwas nachhaltig verrutscht.
Bei allem absolut berechtigten Respekt für jene, die den Job an der Seitenlinie ausüben, darf vielleicht trotzdem die Frage erlaubt sein, ob man ihn in dieser Form überhaupt braucht? Schließlich ist zuletzt ja niemandem aufgefallen, dass jemand, der ihn ausübt, offenkundig gelogen und Zitate frei erfunden hat – auch wenn sie im Nachhinein versuchte, das Ganze aus verständlichen karrieretechnischen Gründen zu relativieren. Es hat keinen Coach interessiert, es hat keinen Zuschauer interessiert, eben weil es auch so einfach war, besagte „sensible Informationen“ aus dem kurzen Halftime-Talk zu fälschen und weil die meisten dann eh schon am hauseigenen Kühlschrank stehen. „Wir müssen den Quarterback attackieren“, „wir müssen Druck machen“, „wir müssen den Ball fangen“ und „wir müssen mehr Punkte als der Gegner machen“ – und so weiter, Coach’s Talk eben. Wo hier abgesehen von Injury Reports der Mehrwert für den Zuschauer stecken soll ist doch extrem fragwürdig.
TV-Berichterstattung zur NFL muss in den Spiegel schauen
Das hat übrigens in aller Deutlichkeit nichts damit zu tun, dass die meisten Sideline-Reporter in diesen Tagen eben Sideline-Reporterinnen sind – möge Tony Siragusa in Frieden ruhen – weder hat es was mit den Individuen selbst zu tun. Vielmehr geht es um die künstliche Kreation einer Position, nach der unter den Zuschauern doch nur wenige Hähne krähen. Die zuvor gestellte Frage lässt sich genauso auf den Beruf vieler fast ausschließlich männlicher TV-Experten anwenden, die sich zuhauf an die Schreibtische jener oft vollends überproduzierten Pre- und Postgame Shows von ESPN und Co. zwängen. Manchmal sitzen dort gefühlt mehr Leute, als während einer Partie auf dem Feld stehen. Warum? Braucht man nach der Meinung von drei ehemaligen NFL-Spielern noch jene eines vierten, fünften und sechsten? Und muss man wirklich dem oftmals kindischen Miteinander der Talking Heads zuhören, welches manchmal in seiner Verachtung für professionelle Arbeit kaum einen Boden kennt? Kurzum: Ja, wenn man die Sender und die Branche fragt.
Denn diese Art der Fernsehberichterstattung bedient auf der einen Seite einen Zeitgeist, in dem es den meisten immer nur um sich selbst geht, wo Entertainment einen weitaus höheren Stellenwert als Realität hat und in der zu jedem noch so kleinen Wind im Wasserglas jeder auch nur im entferntesten Nichtangesprochene einen epochalen Möchtegern-Essay auf X verfasst. Auf der anderen Seite bläht sich hier eine Branche selbst künstlich auf und beschert den Ihren reihenweise Möglichkeiten zum Verdienst beziehungsweise zur Selbstverwirklichung. Praktischerweise bringt man damit auch manchmal jene Stimmen zum Schweigen, die nach mehr Diversität in der Branche verlangen – welche natürlich nur nach außen hin proklamiert und nie wirklich gelebt wird, allen hochtrabenden Lippenbekenntnissen zum Trotz. Im Kern liegen oftmals ein überbordender Narzissmus und ein längst nicht mehr einzufangendes Geltungsbedürfnis zugrunde, welches Sportübertragungen zeitweise zur wirklich harten Zerreißprobe macht.
NFL-Reporter laden ganz große Geschütze
Mit seiner eigentlichen Trivialität wirft die Causa Thompson ein unangenehmes Licht auf genau diese Entwicklung, womit sich die doch arg dünnhäutigen Reaktionen einiger Medienvertreter erklären. Bekannte Gesichter der Branche wie Rich Eisen sprachen in ihren Shows über den Fall, als ob hier Bernstein und Woodward die Watergate-Affäre erfunden hätten, vornehmlich natürlich um sich und die eigenen Kollegen zu überhöhen. Der Vorfall ist auch nicht der neueste Beweis dafür, warum viele Menschen traditionellen Medien immer weniger vertrauen, im Sport wie im echten Leben. Dass ein alteingesessener NFL-Kolumnist wie Peter King das aber anführt, zeigt eigentlich viel mehr die große Entfernung vieler Journalisten von den Menschen, die ihren Berichten vermeintlich folgen, wie auch von ihrer eigentlichen Kernaufgabe. Es bedarf schon einem gewissen Maß an Selbstherrlichkeit, wenn man glaubt, dass Menschen dem Journalismus im Ganzen seltener vertrauen, weil eine NFL-Sideline-Reporterin ab und zu mal ein paar unbedeutende Fakten erfunden hat.
Vielleicht ist es viel mehr diese verkehrte Selbstwahrnehmung eines Berufsstandes, die viele Menschen stört. Komischerweise ist die ernsthafte Bestürzung bei eben jenen Fans da draußen sowie bei den Aktiven der National Football League bisher eher gering oder gar nicht vorhanden. Dabei sind es doch eigentlich sie, die sich am meisten darüber aufregen müssten, dass sie beschwindelt beziehungsweise falsch zitiert wurden. Vielleicht hatten sie tatsächlich etwas anderes in diesen Tagen zu tun, als sich künstlich aufzuregen. Im Fall der Spieler und Coaches wäre das eventuell ein echtes NFL-Spiel. Eines von diesen, um die es eigentlich bei Fernsehübertragungen gehen sollte. Und auch nur darum.