Die NFL wird nach dem Spiel in München nicht mehr so weit im Aus stehen wie vorher. Credit: Imago Images / Icon Sportswire / Michael Allio

Das erste reguläre Saisonspiel der NFL auf deutschem Boden wirft seine Schatten voraus und begeistert längst nicht nur die hiesige Football-Community. Das globale Event mit enormer Strahlkraft ist ein sportlicher Meilenstein für dieses Land, den man sicherlich gar nicht zu gering schätzen darf, ihn letztendlich aber auch nicht überhöhen sollte. Spektakulär ist er aber allemal!

Es gab eine Zeit, in der es nicht wirklich einfach war, in Deutschland einer US-amerikanischen Sportart nachzueifern. In jenen Tagen orderte man sich VHS-Kassetten aus gedruckten Katalogen, um Spiele zeitversetzt anzuschauen, man hing zu unchristlichen Zeiten vor dem Fernseher, um sich jeden noch so kleinen Schnipsel in einem krampfhaft-kultig auf cool gepolten Magazin anzusehen, welches teilweise auf Sendern lief, die man heute nur noch vom Hörensagen kennt. Zeitschriften hatten damals noch einen echten, unverzichtbaren Informationswert, denn das Internet war bloß irgendetwas Surreales in einem Silicon-Valley-Kopf. Good old times… in vielerlei Hinsicht kann man das vor dem Hintergrund vieler moderner Probleme sicherlich sagen. Im Hinblick auf das Leben als deutscher US-Sportfan aber wohl eher nicht.

Das NFL Spiel in München ist Ausdruck einer neuen Ära

Denn heute sehen die Dinge bekannter Weise ein wenig anders aus. Nicht perfekt, so weit möchten wir nicht gehen, aber das Leben als US-Sportfan hierzulande hat sich im Zuge des World Wide Webs und neuen technischen Möglichkeiten doch in einst fast unvorstellbaren Maßen weiterentwickelt. Ausdruck davon ist unter anderem das demnächst anstehende erste reguläre Saisonspiel der NFL auf deutschem Boden. Wenn am Sonntag, den 13. November, die Tampa Bay Buccaneers in der Allianz Arena auf die Seattle Seahawks treffen, dann ist es etwas ganz Besonderes. Nicht nur für die lokale und hiesige NFL-Community, sondern für den Sportstandort Deutschland. Wie besonders, darüber kann man diskutieren.

Es wird sich ohne Zweifel viel versprochen von diesem Megaevent, unter anderem oder gerade für den American Football hierzulande. Diese Vorstellung ist durchaus berechtigt, denn jeder kennt die Kausalitätskette von Aufmerksamkeit, Interesse, fließenden Geldern und neu entstehenden Möglichkeiten. Das NFL Munich Game ist am Ende vom Tag zwar nur das erste Spiel von einer Serie aus vieren, aber die mediale Berichterstattung geht schon Wochen und Monate im Voraus los. Um das Stadion wird es eine ganze Menge zu sehen, zu erleben und zu erfahren geben, selbst für viele der Unglücklichen, die kein Ticket für das Spiel selbst ergattern konnten. Sehen, erleben, es sind Dinge die Emotionen schaffen, wenn es vor der eigenen Haustür passiert, dann werden diese meistens sogar noch ein klein wenig stärker. Dies gilt auch für hiesige Sponsoren, bei denen eine Flamme entfacht wird und die dann um Umkehrschluss wieder neue Events auf die Beine stellen.

Deutschland kommt mit der NFL direkt in Berührung

Seinen besonderen Reiz hat das Gastspiel der NFL in München vor allem dadurch, dass es aus unterschiedlichen Gründen der breiten Masse in Deutschland mehr präsent sein dürfte, als American Football dies sonst ist. Die deutsche Football-Community feiert die NFL so oder so ab, mit oder ohne Spiel im eigenen Land. Aber es gibt viele, ja natürlich sogar die meisten Menschen, die nicht jeden Tag der Woche vom Sonntag träumen, die nicht Jahre lang einen Trip über den großen Teich zusammenbasteln, um einmal ihr Team live zu sehen, die nicht ihr Fan-Dasein in einer Welt leben, in der es keinen wöchentlichen Stadionbesuch, keine Spieler zum Anfassen und oft auch keinen Verein um die Ecke gibt. Diese Menschen sind vielleicht jene, die am Sonntag durch Zufall einschalten, deren Interesse durch einen Artikel in der Lokalzeitung geweckt wird, die vielleicht sogar von der kurzen Zusammenfassung in der Tagesschau neugierig gemacht werden.

Ja, es wird wohl einer der wenigen Tage im Jahr sein, wo es die National Football League in Deutschlands wichtigste Nachrichtensendung schafft. Man mag darüber schmunzeln, es als nicht nachhaltig oder albern abtun, letztendlich ist es aber Ausdruck der Strahlkraft eines Spiels, das auf vielen Ebenen mehr erreichen kann als große, über Jahre hinweg geplante Kampagnen vermögen, die letztendlich doch "wide right" am Ziel vorbeigehen. Ein Spiel wie das in München hat in der heutigen Zeit vielerlei Multiplikatoren, wenn sich zum Beispiel Fußballer im Stadion selbst für die sozialen Medien inszenieren oder wenn Sponsoren "wichtige" Menschen kennenlernen und diese wiederum andere wichtige Menschen kennen, dann könnte daraus vielleicht etwas wirklich wichtiges entstehen, wie ein Jugendprojekt, eine transatlantische Partnerschaft oder Ähnliches. Es gibt all diese Dinge schon, durch ein Spiel wie in München werden sie aber forciert und vorangetrieben.

Die NFL wird in München keine Wunder vollbringen können

Wunder wird natürlich auch das NFL Munich Game nicht vollbringen und es ist eine Illusion, von der man sich vielleicht vorher schon verabschieden sollte. Deutschland ist zwar längst ein Land, in dem American Football von einer großen Zahl von Menschen gelebt wird, aber es bleibt hierzulande vorerst ein Kulturphänomen ohne traditionellen Boden oder weitverbreiteten Unterbau. Daran ist nichts falsch, ganz im Gegenteil. Es wird dennoch weiterhin viele Leute geben, die fest bei ihrer Meinung bleiben werden, dass ein Spiel, in welchem es in drei Stunden Übertragungszeit bloß rund 15 Minuten echte Action gibt, sie nicht interessiert. Das ist ebenso verständlich und richtig, wie es verständlich und richtig ist, dass jemand anders sich wie ein Schneekönig freut, wenn der Runningback des eigenen Teams um 21:47 Uhr am Sonntag irgendwo in einem fernen Land durch eine Lücke stößt.

Bei allem Idealismus und Wünschen, die reihenweise zu Vätern toller Gedanken werden, American Football wird nicht von heute auf Morgen ein deutsches Spiel werden und auch das ist vollkommen in Ordnung so. Es kann aber als Hobby, als Zeitvertreib, als Sport und als Kulturgut definitiv wachsen, wenn die Spiele der International Series hierzulande richtig genutzt und eingeordnet werden. Authentizität und Selbstwahrnehmung sind hier sicherlich ganz entscheidend und bei allem Brimborium darf man nicht vergessen, dass es eben letztendlich auch um das Spiel selbst geht. Den Sport. Dieser muss faszinieren, er muss begeistern. Er kann dies aber nur, wenn er sichtbar ist. Wenn er auf dem Zettel steht, wenn er präsent ist. Durch das NFL-Spiel in München ist American Football das auf jeden Fall mehr als vorher.

Wenn auch nur für ein paar Wochen im Jahr, wenn auch nur für einen kurzen Beitrag in der Tagesschau. Aus diesen wenigen Augenblicken könnten aber in der Zukunft mehr werden. Vielleicht nicht bei Judith Rakers und Co, dafür aber in den Herzen von so manchem Menschen, der davon heute noch gar nichts weiß.

Über den/die Autor/in
Moritz Wollert
Moritz Wollert
Moritz Wollert schreibt für TOUCHDOWN24 u.a. über die NFL. Für das monatliche Print-Magazin schreibt er u.a. die NFL History Artikel

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