Die Los Angeles Chargers galten im Sommer als einer der Top-Favoriten auf den Super Bowl, mindestens als eines der besseren Teams der NFL. Von jenen Vorschusslorbeeren und der Euphorie ist nun nicht mehr viel übrig geblieben. Mehr noch, Justin Herbert und seinem Team droht sogar eine weitere Saison ohne Postseason-Football!
"Super Teams" haben in der NFL eine lange Tradition und werden mit der Offseason zumeist in einer Zeit ausgerufen, in der ihre Meriten vor allem auf Projektion basieren. Wenn im Sommer die namhaften Verpflichtungen verdienter Stars wöchentlich die Gazetten füllen, dann fallen viele Beobachter geradezu vollkommen euphorisiert übereinander, um die grenzenlosen Möglichkeiten eines jeweiligen Teams auf die blanke Leinwand der Zukunft zu malen. Nicht selten pinselt man auch die Lombardi Trophy irgendwo mit auf das Bild. Ein besonders berüchtigtes Beispiel für jene Art von Mannschaft ist das "Dream Team" der Philadelphia Eagles von 2011, das nach Verpflichtungen von Nnamdi Asomugha, Cullen Jenkins oder Jason Babin schon in der spielfreien Zeit für Super Bowl Tickets vorgemerkt wurde. Letztendlich erlebten die komplett dysfunktional zusammengesetzten Adler aber eine Bruchlandung und verpassten mit acht Siegen sowie acht Niederlagen die Playoffs.
Der warnende Charakter einer solchen Geschichte, von der es etliche in der NFL-Historie gibt, gerät aber jeden Sommer wieder auf ein Neues in den Hintergrund. So geschehen auch bei den Los Angeles Chargers, für viele die hochdekorierten Offseason-Champions 2021. Warum jeder ordentlich Strom auf den Ladegeräten sah war offensichtlich. Eine 2020 starke Mannschaft, die nur hauchdünn die Playoffs verpasste, angelte sich mit J.C. Jackson und Khalil Mack zwei defensive Superstars, die rundherum noch mit einigen weiteren sinnvollen Neuverpflichtungen wie Rookie-Guard Zion Johnson garniert wurden. Justin Herbert wedelte immer noch mit seinem goldenen Arm auf der Quarterback-Position, das Team galt als hungrig, was also konnte schief gehen? Tja, eben dann doch eine ganze Menge, wie die aktuelle 6-6-Bilanz der Los Angeles Chargers zeigt.
Großes Verletzungspech bei den Los Angeles Chargers
Gründe dafür gibt es eine ganze Menge, sogar einen, für den die "Bolts" nicht wirklich etwas können. So sehr Verletzungen Teil des Tagesgeschäfts in der härtesten Liga der Welt sind, so sehr muss man konstatieren, dass L.A. in der diesjährigen Saison unglaubliches Pech in dieser Hinsicht zu verzeichnen hat. Die Star-Receiver Mike Williams und Keenan Allen, bisher Eckpfeiler für die Erfolgsgeschichte Justin Herbert, verpassten zusammen elf Saisonspiele, Cornerback-Neuling J.C. Jackson und Edge-Mammut Joey Bosa absolvierten gerade einmal acht Partien. Top-Center Corey Linsley laborierte an etlichen Blessuren und für Blindside-Protector Rashawn Slater, einer der Stars der vergangenen Saison, ist die aktuelle Spielzeit sogar schon ganz beendet. Die Verletztenliste der Chargers sieht zeitweise wie das All-Star-Team aus, das sie eigentlich gerne auf dem Feld bewundern würden. Ein Umstand, den selbst gestandene Franchises nicht einfach so wegstecken können, geschweige denn ein neuzusammengewürfelter Contender-Anwärter.
Auch wenn man für das Verletzungspech an der Pazifikküste natürlich nichts kann, der Coaching-Staff um Brandon Staley und das Front Office um Tom Telesco müssen sich trotzdem die ein oder andere unbequeme Frage gefallen lassen. Warum zum Beispiel hat die schon im vergangenen unterirdische Run-Defense in dieser Saison einen Spaten genommen und sich direkt noch einmal ein Erdreich tiefer nach unten gebuddelt? 5,4 Yards lassen die Chargers pro Lauf zu und lassen dabei so ziemlich jede Gap-Integrität, Physis oder Innovation vermissen. Großartige Run-Stopper fehlen einerseits, andererseits müsste schon ein gutes Scheme reichen, um nicht dermaßen unter die Füße gegnerischer Runningbacks zu kommen. Dafür verpflichtete man schließlich mit Staley einen Mann, der bei den Rams mit einer fulminanten Defensive auf sich aufmerksam gemacht hat. Ohne Aaron Donald oder Jalen Ramsey fehlt seiner Verteidigung ein paar Kilometer den Rodeo Drive hinunter aber merklich der Biss.
Justin Herbert allein reicht den Chargers nicht
Personelle Probleme und strategische Schwierigkeiten spielen hier Hand in Hand, so mancher mag auch das alte Vorurteil der mangelnden Toughness den sonnenverwöhnten Kaliforniern vor die Füße werfen. Offensiv läuft es zwar deutlich besser für die Chargers, aber auch hier ähnelt das Gezeigte eher einem mäßigen Hollywood-Film mit großem Budget denn einem echten Kassenschlager, der nicht schon alle guten Szenen im Trailer verrät. Justin Herberts Zahlen sind denen der Vorsaison sehr ähnlich, das letzte Quäntchen Dominanz lässt er aber gerade in Frühphasen der Spiele vermissen. Den Chargers fehlt es an Team Speed, sowohl im Backfield als auch bei den Receivern, und somit verstopfen viele Gegner die Line of Scrimmage als auch das Mittelfeld.
🚨 WEEK 14 SCHEDULE FLEX ALERT 🚨
— ♑KD314♑ (@kendell_m) November 30, 2022
Miami Dolphins vs. Los Angeles Chargers will now be played at 8:20pm ET on NBC
Chiefs vs. Broncos moves to 4:05pm ET on CBS. pic.twitter.com/qWVcQHqUiZ
Folglich kommt für Herbert null Hilfe vom Laufspiel (3,7 Yards pro Rush) und die Fenster für seine ohnehin angeschlagenen Receiver werden kleiner. Dabei will der neue Offensive Coordinator Joe Lombardi wie früher bei den Saints gerne ein auf kurzen Pässen basierendes Schema laufen, um dann zeitweise den langen Pass vorzubereiten. Dies wird aber zunehmend schwerer, wenn man dank des schwachen Laufspiels in unvorteilhaften Down-And-Distance-Situationen ist und dazu auch noch die durcheinandergewürfelte Offensive Line ihre Probleme hat.
Chargers Offensive Line eine von vielen Baustellen
Die Angriffsfront der Chargers leidet merklich unter dem Verlust von Rashawn Slater und auch die zeitweilige Abwesenheit von Corey Linsley schlug voll ins Kontor. Mit Zion Johnson und Jamaree Salyer stehen zwei talentierte Rookies in der Startformation, die besonders unter der mangelnden Kontinuität leiden und eigentlich feste Nebenmänner bräuchten. Eine Offensive Line funktioniert immer als Gruppe und ist niemals nur auf ihre Einzelteile zu reduzieren. Gerade bei einer neuformierten Line ist stetige Teamchemie ausschlaggebend, den Chargers fehlt sie aber quasi fast seit der ersten Saisonwoche. Es ist damit eine von etlichen Sicherungen, die im Kasten der „Bolts“ in den vergangenen Wochen immer mal wieder herausspringt, womit es in der Summe einfach ein klein wenig zu lange dunkel bleibt, um dauerhaft Spiele zu gewinnen.
Die mentale Komponente ist dabei sicherlich auch nichts besonders hilfreich. Denn wohl glaubten nur die wenigsten unter den Chargers, dass sie zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt um die Playoffs fürchten müssten, womit das einstige Label eines Super Teams erst Recht zur Bürde wird. Eines kann man aber ebenfalls aus der ganzen Geschichte lernen – entscheidend ist letztendlich auf dem Platz. Und da haben die Los Angeles Chargers ja noch ein paar Spielchen zu bestreiten. Ergo könnten sie auf jeden Fall noch etwas reißen. Ob es natürlich zum ganz großen Wurf reicht, darf im Moment wohl eher bezweifelt werden.