Kopf hoch, Deon Jackson, viel schlimmer kann es für die Indianapolis Colts kaum kommen. Credit: Imago Images / USA Today Network / Jeffrey Becker

Während sich die Minnesota Vikings unlängst über das größte Comeback der NFL-Historie freuen konnten sahen ihnen ziemlich betrübte Indianapolis Colts beim Feiern zu. Sie waren es schließlich, die den höchsten Vorsprung aller Zeiten verspielten und damit ihrer ohnehin schon miserablen Saison einen ultimativen Tiefpunkt verpassten.

Das Internet hat es mit seiner Schnelllebigkeit so an sich, dass es in gewissen Zeiten für unfreiwillige Komik sorgt. Natürlich nur, wenn man nicht derjenige ist, über den gelacht wird. Am vergangenen Samstag jubelten nicht bloß die Fans der Indianapolis Colts im Stadion, auch das Social Media Team konnte sein Glück ob der starken Leistung ihrer zuletzt doch eher unglücklich auftretenden Mannschaft kaum fassen. Und so feierten sie die 33:0-Halbzeitführung gegen die Minnesota Vikings auch prompt mit einem jovialen Post samt der Überschrift "Was für eine Halbzeit!" Was das letzte sein sollte, über das sich die jubelnden Colts-Spieler im beigefügten Bild und ihre Anhänger freuen konnten.

Die Colts schreiben bitterste NFL-Geschichte

Von besagtem Samstag bleibt nämlich etwas ganz anderes hängen, wie sogar etliche deutsche Tageszeitungen von der FAZ bis hin zum kleinen Lokalblatt mittlerweile berichtet haben. Es folgte das größte Comeback der NFL-Geschichte, welches den Minnesota Vikings mit ihrer furiosen Aufholjagd gelang und in einem 39:36-Overtime-Erfolg gipfelte, an welches sich wohl noch Generationen nach uns in Quiz-Shows, Büchern oder Dokumentationen erinnern werden. Dabei dürften Bilder von losgelösten Wikingern vor dem inneren Auge vorbeihuschen, das breite Grinsen von Kirk Cousins oder die Akrobatik eines Justin Jefferson. Und dort werden Gesichter erscheinen, die so lang sind wie ein Justin Tucker Field Goal bei Rückenwind. Jene werden den Indianapolis Colts gehören, den frustrierten In-die-Röhre-Guckern, die fast jedes Wahnsinnssportereignis irgendwie immer braucht, damit es auch wirkliche Dramatik mit sich bringt.

Die jungen Hengste mit dem markanten Hufeisen auf dem Helm werden eine ganze Weile brauchen, um sich von ihrem peinlichen Fiasko zu erholen, welches das berühmte Playoff-Comeback ihres erst vor kurzem entlassenen Head Coaches Frank Reich zu seiner aktiven Zeit bei den Buffalo Bills als höchste Aufholjagd der NFL-Geschichte ablöste. Nimm das, Frank! Derartiges epochales Versagen passiert in der NFL nicht einfach nur so, ihm liegen tiefgreifende Verwerfungen zu Grunde, Dinge, die in ausgemachter Weise schief laufen. Im Falle der Colts drängen sich gleich eine Reihe von möglichen sportlichen Ursachen auf, beginnend bei ihrem leblosen Quarterback-Spiel über die lange nicht mehr so sattelfeste Offensive Line bis hin zum fehlenden Talent im Kader.

Zahlreiche Baustellen bei den Indianapolis Colts

Aber dort muss noch mehr sein, etwas, das mit fehlender Identität, mangelndem Rückgrat und fehlender Richtung zu tun hat. Die Vikings-Pleite ist schließlich die zweite komplette Bauchlandung in Folge, nachdem man schon gegen Dallas im vierten Viertel 33 Punkte kassiert hatte. Ja, richtig gelesen, 33 Punkte in einem Viertel. Und danach hatten die Colts sogar fast zwei Wochen Zeit, aus falsch richtig zu machen und sich gegen eine erneute Blamage zu wappnen. Was genau eine Halbzeit lang gut ging. Viele Finger zeigen schnell auf Jeff Saturday, den neuen vielleicht nicht einmal Interimscoach, den man eigentlich nur ob verdienter Höchstleistungen als einstiger Colts-Aktiver vom Kommentatorenplatz an die Seitenlinie beförderte. Seine paar Jahre Coaching-Erfahrung an der High School war das wohl dünnste Bewerbungsschreiben seit Norm Van Brocklin Anfang der 1960er Jahre die Minnesota Vikings übernahm.

Und so sehr Saturday ein wenig ins Schwimmen gerät in diesen Tagen, die Probleme, die unter ihm zu Tage treten, gab es schon alle bevor er die Zügel in die Hände nahm. Und letztendlich ist diese Saison die jüngste in einer langen Reihe, in der General Manager Chris Ballard das Pflaster nicht so richtig auf die Wunde bekommt. Das liegt aber vor allem daran, dass er immer wieder ein viel zu kleines nimmt, in dem Glauben, der vermeintlich kräftige Körper des Colts-Rosters könnte das schon vertragen. Ein Fast-Ruheständler namens Philip Rivers, ein schon andernorts gescheiterter Carson Wentz und ein lange über den Zenit hinausgeschossener Matt Ryan sind aber eben als Quarterbacks nicht genug, um den von Ballard seit Jahren zusammengestellten wie auch überschätzen Kader ins gelobte NFL-Land zu führen. Bei Weitem nicht.

Matt Ryan im frustrierenden Spätherbst einer großen NFL-Laufbahn

Apropos Matt Ryan, man kann eigentlich gar nicht anders, als einen gewissen Anflug von Mitgefühl für den stets integren, bodenständigen Musterprofi zu verspüren. Der einstige NFL-MVP befindet sich im Spätherbst seiner überragenden Karriere und ein eiskaltes Tiefdruckgebiet naht am Horizont, doch so richtig abgerundet wirkt seine Laufbahn einfach nicht. Jeder weiß um die fatale Super-Bowl-Niederlage gegen New England, wo er mit seinen Atlanta Falcons die größte Führung in der Geschichte des großen Spiels vergeigte. Nun kommt auch noch ein Negativrekord in der Regular Season dazu, der im Großen sicherlich den Kohl nicht mehr üppiger macht, irgendwie aber sicherlich doch bis ins Mark schmerzt.

So wird es auch anderen Colts-Spielern gehen, obwohl sie für nicht wenige in ihrer Fanbase im Vikings-Spiel gerade noch einmal so die Kurve bekommen haben. Schließlich hoffen viele der Anhänger längst nur noch auf Niederlagen, um die eigene Position im kommenden NFL Draft zu verbessern. Da könnte man dann wieder das gepachtete Colts-Quarterback-Glück bemühen, was ihnen in ihrer Geschichte große Signal Caller wie Johnny Unitas, Peyton Manning oder auch Andrew Luck bescherte. Derlei Tanking-Fantasien sind den derzeitigen Colts-Profis aber zweifelsohne zuwider.

Eines ist außerdem trotz aller aktuellen Verfehlungen sicher: Sollten die Colts in der Draftnacht tatsächlich einen neuen und dringend benötigten Hoffnungsträger ziehen können, dann wird das Social Media Team wieder aus allen sozial-medialen Rohren feuern. Man kann den Colts nur wünschen, dass der dann gezeigte Spieler in etwas positiverer Erinnerung bleibt, wie die Spielszenen zuletzt.

Über den/die Autor/in
Moritz Wollert
Moritz Wollert
Moritz Wollert schreibt für TOUCHDOWN24 u.a. über die NFL. Für das monatliche Print-Magazin schreibt er u.a. die NFL History Artikel

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