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Die NFL Playoffs sind mit absolvierter Wild Card Round in vollem Gange und haben wie eigentlich jedes Jahr massig Spannung, spektakuläre Momente als auch pure Dramatik im Gepäck. Dabei balancieren Teams und Spieler in diesen Tagen immer wieder auf einem hauchdünnen Drahtseil, welches genau zwischen einem Anfang und einem Ende gespannt ist!

Es ist nur ein kleiner Kamera-Schwenk oder sogar nur eine Regieanweisung, welche die große Diskrepanz sportlicher Emotionen zu Zeiten der NFL Playoffs besonders gut einfängt. Wenn ein Spiel entschieden ist, dann herrscht auf der einen Seite des Feldes ausufernder Jubel, von Leichtigkeit beseelt liegen sich gestandene Profis in den Armen, hören noch das Echo des schwergewichtigen Steins, der ihnen Sekunden zuvor vom Herzen gefallen ist. Dann nur wenige Meter entfernt, manchmal gar mitten im Jubel trotten niedergeschlagene Kontrahenten ihres Weges, den Blick aus gesenkten Häuptern gen Boden gerichtet, verzweifelt auf der Suche danach, wie es im bevorstehenden Nichts weitergehen soll. Sieg und Niederlage, Freude und Trauer, Ruhm und Schande, Karriere und Rente – alles liegt in den NFL Playoffs manchmal Millimeter voneinander entfernt.

So begibt es sich auch am vergangenen Wochenende, am NFL Wild Card Weekend 2023, dass zwar absurderweise und aus rein kommerziellen Gründen auf drei Tage aufgebläht wird, dennoch aber genau denselben spannenden Charakter besitzt die "schlankeren" Vorgänger der Vergangenheit. So mancher Kritiker bemängelt zwar zwischendurch, dass Spielniveau und Qualität der einzelnen Partien nicht immer auf der Dachterrasse verweilen, aber dafür dürfte bereits erwähnte Dramatik ein mehr als willkommener Ersatz gewesen sein. Natürlich stolpern sich die Bills lange ordentlich einen zu Recht und definitiv lassen die Auftritte Minnesotas oder der Bengals eine ganze Menge vermissen. Aber wer beschwert sich denn, wenn er Gassenhauer wie das Comeback der Jaguars oder den spektakulären Kampf der ersatzgeschwächten Dolphins mit ansehen darf?

NFL-Playoff-Comeback Karrierestartschuss für Trevor Lawrence

Über ihre anfänglich unterirdische Leistung moppert bei den Jacksonville Jaguars jedenfalls niemand mehr, denn das Ende ihrer Partie könnte der Anfang von etwas Großem sein. Es sind nicht bloß die psychische Resilienz, mit der ihr Quarterback Trevor Lawrence satte vier Pässe zum Gegner wegsteckt, oder ihr Mut der Verzweiflung, mit dem sie das Spiel gegen die Los Angeles Chargers noch drehen, was in Duval Hoffnung macht. Es sieht viel mehr so aus, als ob Trevor Lawrence, dessen Saison schon jetzt in ihrer Gesamtheit als Bewerbungsschreiben für die NFL-Elite genügt, den zweiten Karriereschritt einfach mal überspringt und man schon jetzt mit ihm Beute in der höheren Astgabel reißen könne. Auch weil Head Coach Doug Pederson ihm per taktischer Räuberleiter unter die Arme greift.

Sowas wünscht sich Justin Herbert sicherlich auch, wenn er sehnsüchtig aus dem Flugzeugfenster blickt, irgendwo auf dem Weg in Richtung eines südlichen Bilderbuch-Feriendomizils, an dem die Strände schneeweiß und die Drinks inklusive Schirmchen ganz besonders bunt daherkommen. Gern würde einer der besten jungen Quarterbacks der NFL auf diese Annehmlichkeiten verzichten, aber für ihn bedeutet sein erster Playoffauftritt mehr Ende als Anfang. Zumindest sollte es das, denn Herbert tritt eigentlich schon die gesamte Saison auf der Stelle. Er tut es ähnlich gut wie im letzten Jahr, aber das Team um ihn herum plante mit ihm eigentlich einen Schritt nach vorne machen. Pustekuchen! Und jetzt steht man in L.A. vor einem ziemlichen Scherbenhaufen, den eventuell jemand anderes wegkehren soll.

Noch arbeitsloser Sean Payton hält die NFL in Atem

Denn wenn Herbert im Flieger WLAN hat, dann wird er sicherlich das ein oder andere Gerücht über einen gewissen Sean Payton lesen, der eventuell als Nachfolger vom derzeitigen Chargers-Coach Brandon Staley in Frage kommt. Dieser ist noch im Amt, leistet sich aber in besagtem Wild-Card-Desaster mit dem Verspielen von 27 Punkten Vorsprung eine in NFL-Kreisen klassische „fireable offense“. Gerecht oder ungerecht, Payton ist der heißeste Name, der seit längerer Zeit auf dem Coaching Markt in der Auslage räkelt und wer sich echte Gedanken über Meisterschaften machen will, der muss zumindest mal ganz leise fragen, wie viel der Ex-Saints-Coach denn kosten würde. Offensiv-Guru Payton hätte selbst sicherlich Lust, um Megatalent Herbert ein neues Super-Team aufzubauen, anstatt mit einem Quarterback-Fragezeichen irgendwo anders in eine ungewisse Zukunft zu starten.

Dass eine ungewisse Zukunft auch Spaß machen kann zeigt derzeit Brock Purdy in San Francisco. Auch mit Beginn der NFL Playoffs geht seine wahnsinnige Erfolgsstory weiter, selbst wenn in diesen Tagen noch niemand weiß, was man denn nächstes Jahr mit Purdy, dem eigentlich Signal Caller der Zukunt Trey Lance und OG Jimmy G nach dieser Saison machen will. Muss man ja jetzt auch noch nicht, es geht schließlich darum einen Titel zu gewinnen. Im ersten Moment eine vermessene Idee mit Purdy hinter dem Center, dann aber auch wieder nicht. Der robuste Rookie macht das Beste aus einem Bett, in dem es sich wohl jeder junge Quarterback der NFL gerne gemütlich machen würde. Er weiß eine Knochenbrecher-Defense hinter sich und eine Offensive Line vor sich, für die man zeitweise wohl den riesigen Spezialbohrer vom Gotthard-Basistunnel bräuchte, um sie zu überwinden. Wenn man dann noch wahlweise Deebo Samuel, George Kittle, Christian McCaffrey oder Brandon Ayiuk den Ball in die Hände geben darf, dann macht das mit Sicherheit eine Menge Spaß. Auch, weil Purdy es versteht, selbst ein wenig ermunternd zu lächeln.

Ist Tom Bradys NFL-Karriere jetzt zu Ende?

Zum Lachen zu Mute ist einem geringfügig verdienteren Quarterback in diesen Stunden sicherlich nicht. Tom Brady legt mit seinen Tampa Bay Buccaneers eine erwartete Bauchlandung hin, auch wenn sicherlich viele ob vergangener und auch aktueller Größe nochmal auf einen magischen Run von "TB12" gesetzt haben. Fakt ist aber, dass das Championship-Fenster der Bucs schon das ganze Jahr über eher beschlagen denn offen anmutet, selbst mit zeitweiligem Stoßlüften von Brady selbst. Es sieht damit deutlich nach einem Ende in Florida für den Jahrhundert-Signal-Caller aus. Ob das allerdings auch das Ende seiner Karriere bedeutet, dazu kann man oder er in diesen Tagen noch nichts sagen. Was nicht bedeutet, dass wir nicht am Anfang eine Lawine aus Spekulationen stehen.

Das Schöne an der NFL Postseason ist allerdings, dass derlei Gazetten-Futter schnell und meistens deutlich von dem eigentlichen Geschehen auf dem Feld verdrängt wird. Nächste Woche stehen uns in der Divisional Round vier mit Spannung erwartete Spiele bevor, in denen Anfang und Ende wieder ganz nah beieinander liegen werden. Kann Jalen Hurts auch auf der großen Playoff-Bühne seine Leistung aus der Regular Season bestätigen? Können die überragenden Pass-Offensiven der Bills und Chiefs unter Hochdruck bestehen? Gibt es eine Cinderella-Story, welche vielen mitten durch das eigene Playoff-Bracket grätscht? Für wen endet die Saison mit mehr Fragen als Antworten?

Am Ende werden wir es schon noch erfahren. Eventuell mit nur einem kleinen Kameraschwenk Verzögerung…

Über den/die Autor/in
Moritz Wollert
Moritz Wollert
Moritz Wollert schreibt für TOUCHDOWN24 u.a. über die NFL. Für das monatliche Print-Magazin schreibt er u.a. die NFL History Artikel

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