Die einen vergöttern ihn, die anderen können sein grimmiges Gesicht und seine gelangweilten Pressekonferenzen nicht mehr sehen. Man kann zu Bill Belichick stehen, wie man will. Man kann ihn als den besten Head Coach der vergangenen 20 NFL-Jahre einordnen oder immer darauf verweisen, dass er von den Ausnahmefähigkeiten eines Tom Brady profitiert hat. Nichtsdestotrotz ist mit dem Ende der Zeit von Belichick bei den New England Patriots die größte Coaching-Ära der jüngeren NFL-Geschichte zu Ende gegangen. Und trotzdem blieb der mittlerweile 71-Jährige ohne Anstellung für einen der anderen vakanten Cheftrainer-Jobs.
Insbesondere die Atlanta Falcons hatten großes Interesse an Belichick als Head Coach. Objektiv betrachtet, hätte die Verpflichtung für beide Seiten Sinn ergeben. Die Falcons haben einen brauchbaren Roster zusammen, einige hochtalentierte Offensivspieler wie Wide Receiver Drake London oder Tight End Kyle Pitts warten nur auf einen Quarterback und ein Spielsystem, das vielleicht ein Josh McDaniels als Offensive Coordinator im Schlepptau Belichicks hätte entwerfen können. Runningback Bijan Robinson hätte sich ebenso gefreut, wie eine Defense, aus der Safety Jessie Bates III hervorsticht. Belichick hätte in einer schwachen Division und einer überschaubar starken NFC nochmal angreifen können. Doch statt ihm erhielt Raheem Morris den Job, der zuletzt 2011 wenig Erfolg als Head Coach der Tampa Bay Buccaneers hatte.
Die anderen Teams auf Trainersuche zeigten an Belichick wenig Interesse. Und auch ein Mike Vrabel, ein Coach mit ähnlich stringenter Menschenführung, erhielt nach seinem Aus bei den Tennessee Titans keinen neuen Chefposten. Die Frage drängt sich auf: Ist die Zeit eines Belichick in der NFL vorbei? Oder werden wir ihn noch einmal an einer Sideline sehen? Wir haben die Meinungen zweier unserer Autoren gegenübergestellt.
KEVIN WIESCHHUES: “NIEMAND WIRD BELICHICK ZURÜCKHOLEN“
(TD24-Kolumnist, bekannt aus RTL Radio)
"Die Zeit von Bill Belichick in der NFL ist vorbei. Dafür gibt es drei wesentliche Gründe: Die "What have you done for me lately“-Mentalität in der Liga, seine veralteten Methoden sowie das Grundverständnis, wer Belichick als Hauptverantwortlicher in all seinen Jahren stets gewesen ist.
Beginnen wir mit dem ersten Grund: In der NFL spielt es bestenfalls eine untergeordnete Rolle, was jemand historisch für ein Team geleistet hat – und das betrifft Spieler und Trainer gleichermaßen. Spieler werden danach bezahlt, was sie leisten werden. Trainer werden danach eingestellt, was sie erreichen werden. Seit 2019 hat Bill Belichick eine Bilanz von 29 Siegen und 38 Niederlagen. Faktisch würde damit kein Trainer, dessen Team vergangene Saison nur vier Spiele gewann, irgendwo einen Job bekommen.
Kommen wir zum zweiten Grund: Dieses "Do Your Job“-Mantra, das Regieren mit eiserner Faust und das, worauf Belichick den größten Wert zu legen scheint, ist im Jahr 2024 (und in den kommenden Jahren) einfach nicht mehr zeitgemäß. Es funktioniert nicht mehr. Es hat mal funktioniert. Aber was uns die letzten Jahre gezeigt haben, ist, dass es den einen "Belichick-Weg“ gibt und nur den kann und möchte er gehen. Andernfalls hätte er schon vor ein paar Jahren Dinge in New England anders gemacht. Das hat er nicht. Mit großer Wahrscheinlichkeit war das auch der Grund, weshalb das Interesse anderer Teams nach mit ihm geführten Interviews nicht mehr so vorhanden war.
Kommen wir zum dritten Grund: Bill Belichick ist kein Feuerwehrmann. Niemand wird den 71-jährigen mürrischen Mann aus seinem Zuhause an die Seitenlinie zurückholen, um eine verloren geglaubte Saison zu retten. Belichick braucht Zeit, um seine Philosophie und Spielidee zu vermitteln. Er braucht Kontrolle, die über die Grenzen eines normalen Cheftrainers hinausgeht. Und glaubt irgendjemand, dass Belichick das Risiko eingeht, sein einmaliges Vermächtnis zu ruinieren, indem er ein fragiles Team mit Implosions-Potenzial übernimmt, um im besten Fall in ein, zwei Jahren in Rente zu gehen? Die Zeit von Bill Belichick in der National Football League ist vorbei und bis jemand eine Zeitmaschine entwickelt, wird das auch so bleiben."
SEBASTIAN BONDREA: “BELICHICK WIRD 2025 WIEDER COACHEN“
(TD24-Autor, NFL)
"Ob die Zeit eines Bill Belichick in der NFL vorbei ist, entscheidet in erster Linie er selbst. Auch wenn vergangene Erfolge in der NFL alles andere als eine Jobgarantie sind. "What have you done for me lately?“ ist ein beliebter Leitsatz in Liga-Kreisen. Was hast du für mich zuletzt (Gutes) geleistet? Und im Falle von Belichick muss man sagen: Nicht viel.
Dennoch ist der Weg zurück an die Sideline vorgezeichnet. Statt Head Coach und Generell Manager in Personalunion zu sein, muss er seinen Fokus wieder auf die Dinge richten, die er am allerbesten kann. Eine perfekt – personell, schematisch und mental – eingestellte Defensive auf den Platz bringen. Machen wir uns nichts vor, auch in den erfolglosen Jahren in New England war das nicht das Problem.
Es war Belichick der General Manager, der das Aus besiegelte. Nun muss er sich selbst hinterfragen, ob er bereit ist, auf die umfassende Macht - Family and Friends im Trainerstab, das Übergehen von Scouts im Draftprozess und seine generelle Sturheit, Ideen von außen zuzulassen – zu verzichten und ein "normaler“ Head Coach zu sein. Wenn ja, werden ihm die Türen zu Jobs im nächsten Jahr offenstehen. Schon jetzt zeichnen sich Hot Seats bei Teams ab, mit denen kurzfristig Erfolg möglich scheint - I’m looking at you, Dallas und Philadelphia.
Und persönliche Agenden dürften den nach Titeln erfolgreichsten Coach aller Zeiten zusätzlich antreiben. Zum einen gilt es, sich den Rekord der meisten Siege in der NFL zu schnappen – es fehlen noch 15, um Don Shula zu überholen (333 vs. 347). Dann ist da die Tatsache, dass Tom Brady es ohne Belichick in den Super Bowl geschafft und damit das Thema losgetreten hat, wer von den beiden maßgeblicher für den Patriots-Erfolg verantwortlich war. Ein weiterer Triumph Belichicks würde diese Diskussion sicherlich wieder in eine andere Richtung lenken. Und zuletzt steht der GOAT-Coach-Titel tatsächlich auch auf dem Spiel. Denn Andy Reid kommt mit großen Schritten und einem brandheißen Patrick Mahomes näher und im Moment deutet nichts darauf hin, dass die drei Ringe der vergangenen vier Jahre das Ende der Chiefs-Erfolgswelle waren. Ich erwarte ab Februar 2025 wieder wortkarge Pressekonferenzen."