Die letzte NFL-Saison lief für die Cincinnati Bengals und Joe Burrow ziemlich bescheiden, jetzt in der Offseason hagelt es ebenfalls unschöne Querelen aufgrund eines Vertragsstreits mit Tee Higgins. Müssen sich die Fans Sorgen machen? Wohl eher nicht.
Es ist noch gar nicht so lange her, da waren die Cincinnati Bengals noch der „Talk of the Town“ in der NFL. Eine aufstrebende Franchise voller junger Superstars, die sich mit erfrischendem, toughen Team-Football ihres einstigen Verlierer-Images entledigte und ihre mächtige Tiger-Tatze vollends durch die Tür zur NFL-Ligaelite zwängte. Ein Franchise-Quarterback? Joe Burrow rief „check“. Ein Star-Receiver als Sidekick? Ja’Marr Chase lässt grüßen. Eine gute Defense, innovative wie verdiente Coaches, Leadership und Tiefe im Kader? Ja, ja und nochmals ja. Man gewöhnte sich schnell an das Träumen vom vor drei Jahren nur knapp verpassten Super Bowl, der immer mehr wie wahrscheinliche Realität anstatt unrealistische Vision aussah. Dann aber passte ein vermaledeites Jahr 2023 so ganz und gar nichts zu den sportlichen Frühlingsgefühlen in der „Queen City“.
Zunehmende Geräusche bei den Cincinnati Bengals?
Schon mit einem angeschlagenen Joe Burrow hinter dem Center wollte vieles nicht wirklich laufen, als er dann aufgrund einer Handgelenks-OP die Segel streichen musste war die Messe ganz gelesen. Keine Playoffs, so formidabel das letzte Aufgebot der Bengalkatzen auch unter Ersatzmann Jake Browning kämpfte. Konnte man die vergeigte Vorsaison noch auf den unglücklichen Schicksalsschlag zurückführen, dürften den Fans einige andere jüngste Entwicklungen schon ein paar mehr Sorgen bereiten. Denn auch der mehr als unschöne Vertragspoker mit Wide Receiver Tee Higgins will so ganz und gar nicht zu den Feel-Good-Vibes vergangener Jahre passen, hinterlässt er doch einen ordentlichen Kaffeefleck auf dem Bewerbungsschreiben für künftige Super-Bowl-Aufgaben – wenn nicht sogar mehr.
Auch wenn die Bengals Higgins mit dem Franchise-Tag bedacht haben weigerte sich der Receiver bisher als einziger Spieler der aktuellen NFL Offseason dieses zu unterschreiben. Das wäre gemäß des heutigen Business-Alltags in der National Football League nicht weiter verwunderlich, schließlich pokern Profis immer mal wieder hoch und sticheln gegen ihre Teams, um unter der schwarzen Linie ein kleines bisschen mehr herauszuholen. Für Cincinnati symbolisiert die Posse aber einen merklichen Wandel, einen Schritt in eine neue Ära. Ihre zwei großen Runs unter Joe Burrow 2021 und 2022 passierten größtenteils mit einem Team, dessen Leistungsträger noch unter ihren Rookie-Verträgen spielten – allen voran natürlich Burrow und Chase, aber eben auch jemand wie Tee Higgins. Andere Teams blickten neidisch auf den unmöglich günstigen Kader der Bengals, der es ermöglichte, an allerlei Ecken und Enden in der Free Agency nachzubessern. Jetzt aber brauchen etliche junge Tiger einen größeren Käfig, mehr Futter und eventuell auch noch eine Fellpflege. Sprich die jungen Stars wollen neue Verträge haben. Und das ist in der modernen NFL eben nicht so einfach bewerkstelligt.
Superstar Joe Burrow bildet den größten Eckpfeiler
Den wichtigsten hat Cincinnati zweifelsohne unter Dach und Fach gebracht, als man Joe Burrow im vergangenen Jahr eine saftige Vertragsverlängerung für 275 Millionen US-Dollar über fünf Jahre verpasste. Aber mit Higgins konnte man sich bisher nicht auf ein neues Arbeitspapier einigen und selbst wenn dieser sagt, dass er nächstes Jahr gerne wieder in Cincy spielen möchte, scheinen die beiden Seiten derzeit weit voneinander entfernt zu sein. Der Spieler will und darf im Moment noch nicht zu Trainingseinheiten entscheiden, einen von Higgins ursprünglich verlangten Trade sehen die Bengals auch nicht ein – das Tauziehen geht in die nächste Runde samt forcierter PR für Drittrunden-Receiver Jermaine Burton und allerlei Social Media Geplänkel. Es ist das nächste Ärgernis für die Bengals, nachdem schon Star-Defensive-End Trey Hendrickson wegen einer etwas zu geringen Extension zuletzt einen Wechsel forderte, den kleinen Aufreger aber selbst wieder einfing und sich zum Team bekannte. Trotzdem sieht so mancher in diesen Geräuschen bereits die Vorboten künftiger Probleme für die Bengals, die aufgrund finanzieller Engpässe ihr sportliches Gesamtgerüst bald zum Wanken bringen könnten. Zumal ja auch Ja’Marr Chase in nicht allzu ferner Zukunft einen neuen Vertrag braucht.
Hat man also die große Chance auf einen Titel verpasst, als man mit dem Rookie-Vertrag des eigenen Franchise-Quarterbacks schier unerschöpfliche finanzielle Mittel zur Verfügung hatte? Droht jetzt ein Ausverkauf? Oder wird das Team so sehr geschwächt, dass in Zukunft lange Titel-Runs zur Herkulesaufgabe werden könnten? Tief durchatmen, Bengals-Fans! Natürlich hat man 2021 und 2022 eine große Chance verspielt, aber das ändert nichts daran, dass die Franchise derzeit noch immer exorbitant gut für die Zukunft aufgestellt ist. Allein die Tatsache, dass man mit Joe Burrow die Anführer-Rolle und den Posten des Franchise-Quarterbacks besetzt hat, lässt die Bengals besser als wohl 20 andere NFL-Teams dastehen. Dazu hat man mit Left Tackle Orlando Brown, Hendrickson, Chase und sogar Cornerback Cam Taylor-Britt etliche Stützen auf den wichtigsten Positionen im NFL-Kader vorzuweisen. Chase und Hendrickson gehören sogar zu den besten Spielern auf ihren jeweiligen Positionen, welche die Liga derzeit zu bieten hat. Die Vertragsverlängerung mit Chase ist lediglich Formsache, ihn werden die Bengals niemals ziehen lassen.
Cincinnati Bengals sind für die Zukunft gewappnet
Aber auch neben den Headlinern haben die Bengals in den vergangenen Jahren mehr als nur smart gewirtschaftet, in ihrem Kader befinden sich kaum Verträge, die der Franchise langfristig und unnütz auf der Tasche liegen. Gleichermaßen hat man über einige Spielzeiten hinweg sehr gut gedraftet, smarte Free Agent Deals eingefädelt und zukunftsorientiert einen Unterbau des Kaders geschaffen, der graduell und stetig wachsen konnte. Der aktuelle NFL Draft ist ein perfektes Beispiel dafür: Nicht einer der neuen Bengals-Rookies ist an Tag Eins wirklich als Starter eingeplant, was einerseits bedeutet, dass der Kader in der Breite schon jetzt sehr stark ist, und andererseits den Rookies die optimale Zeit gibt, sich in ihre zukünftigen Rollen hineinzufinden. Wenn dann irgendwann der eine oder andere Starter vertragslos wird und eine Verlängerung zu viel kosten würde dann haben die Bengals bereits ihren Ersatz im eigenen Kader, zumindest auf dem Papier. So mancher sieht Jermaine Burton bereits als Erbe von Tee Higgins, wobei hier der Leistungssprung des Youngsters schon gewaltig sein müsste, um die Production des Veteranen kurzfristig zu duplizieren.
Dennoch bleibt festzuhalten, dass die Bengals in keiner Weise von einem Spieler wie Tee Higgins abhängig sind, so gut er auch in ihren Farben performt hat und so schön es wäre, ihn weiter als vielleicht besten No.2-Receiver der NFL zu beschäftigen. Dagegen macht es aus wirtschaftlicher Cap-Sicht wohl kaum Sinn, enorme Ressourcen in gleich zwei Mega-Receiver zu stecken, wenn der Quarterback Joe Burrow heißt und er auch potenziell günstigere Kräfte auf ein gutes Level heben kann. Mittlerweile ist das Grundgerüst, das Cincinnati über ein paar Jahre aufgebaut hat, wohl viel zu stabil, um von den derzeitigen Querelen aus dem Gleichgewicht gebracht zu werden. Natürlich hat sich etwas verändert und man sieht sich nun eher mehr als weniger schwierigen Entscheidungen für die Zukunft gegenüber. Aber darin liegt ja auch etwas Positives, denn immerhin hat man eine Gegenwart und eine Zukunft, die auf der Waagschale liegt. Dies war vor ein paar Jahren noch ganz anders, eben dann, als man sich noch nicht zum „Talk of the Town“ aufgeschwungen hatte.