Nick Sirianni führte die Philadelphia Eagles vor nicht allzu langer Zeit in einen Super Bowl, erinnern will sich in diesen Tagen aber keiner mehr daran. Zu rasend ist der sportliche Niedergang, zu peinlich sind Siriannis emotionale Ausbrüche. Und gerade letztere könnten auf den Anfang vom Ende hindeuten!
Wenn man sich in einer bestimmten Situation oder auf einem bestimmten Posten befindet, dann gibt es in der Regel immer Menschen und Institutionen, mit denen man sich lieber nicht anlegen sollte. Mit denen man sich gut stellen und es sich nicht verscherzen möchte. Man denke an den Politiker und seine Wähler, den braven Bürger und das Finanzamt oder auch an den Hausbauer und seine Gewerke. Das der Head Coach bei den Philadelphia Eagles sich keinen Ärger mit den eigenen notorisch-rauen Fans in der „City of Brotherly Love“ einhandeln sollte scheint vor diesem Hintergrund eigentlich offensichtlich. Tut er es doch, bleibt letztendlich bloß Kopfschütteln, bewegt es sich doch auf der Skala der dummen Ideen irgendwo zwischen einem abgehalfterten Kneipenschläger, der mit MMA-Legende Fedor Emilianenko nach zwölf Halben vor die Tür gehen will, und einem US-Urlauber, der bei der Einreise in die Vereinigten Staaten zum Spaß einen selbstgebastelten Pass vorlegt. Man kann es Intellektuell ausbaufähig nennen, eigentlich ist es aber schlichtweg dumm.
Was anderes kann einem leider wohl auch nicht zu Nick Sirianni einfallen, der unlängst nach einem Ach-und-Krach-Sieg über den furchterregenden sportlichen Todesstern der Cleveland Browns nichts Besseres zu tun hatte, als mit den eigenen loyalen Fans in den Clinch zu gehen. Er drehte sich wild gestikulierend zu ihnen um und präsentierte die gute alte „Ich höre euch nicht“-Geste. Ein paar Nettigkeiten und Wörter fernab guter Kinderstube hagelte es bestimmt auch noch. Alles halb so wild, meinte er anschließend auf der Pressekonferenz, er sei einfach nur „excited“ gewesen und die Eagles hätten natürlich die großartigsten Fans der Welt. Dann tauchte unlängst auch noch ein Kommentar von den angeblich involvierten Eagles-Anhängern auf, die angeblich Sirianni nur geraten hätten, den Ball mehr zu laufen, worauf dieser entgegnete, dass er das schon noch machen würde. Am Ende hätte er sich dann nur noch einmal bestätigend an sie gewandt.
Nick Sirianni fällt bei den Philadelphia Eagles in Ungnade
Klingt seltsam und am Ende ist es das auch. Zumal in dieser Beschreibung die eindeutige Sportler-Geste mit dem schwachen Gehör nicht wirklich vorkommt. Aber selbst wenn diese Version der Geschichte stimmt ändert das in keiner Weise etwas daran, dass Nick Sirianni in Philadelphia losgelöster hin und her schlittert als niederländische Fußballfans vor einem WM-Spiel über die Straße tanzen. Die Fanbase, die ihm einst zu Füßen lag und mit ihm in so mancher Roadside Bar fröhlich einen hinter die Binde kippte, hat zu großen Teilen die Nase voll von ihrem Coach, seiner Kommunikation und seinen spieltaktischen Unzulänglichkeiten. Da brauchte es die jüngste Episode von Siriannis entsichertem Verhalten eigentlich gar nicht mehr. Das liegt unter anderem daran, dass es nicht das erste Mal war, dass er sich in kindischen Scharmützeln mit kritischen Fans verliert oder sich nach einem Sieg in Form eines wildgewordenen Silberrückens vor ihnen aufplustert.
Nick Sirianni is going OFF on #Eagles fans after the win over the #Browns.
— Dov Kleiman (@NFL_DovKleiman) October 13, 2024
They were chanting "Fire Sirianni" earlier in the game.pic.twitter.com/7ukgBgNOX1
Eine Kritik an derart deplatziertem Verhalten soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass er wie viele andere in seinem Geschäft auch natürlich eine ganze Menge ertragen muss. Fan-Sein kehrt bei allen wunderschönen Facetten eben auch manchmal die dunkelsten Abgründe der menschlichen Seele hervor, erst recht, wenn diese verdammten Spiele mit diesn verdammten Spielern nicht so verdammt laufen wollen, wie man sich das verdammt nochmal vorgestellt hat. Mit den eigenen Emotionen auf Turboboost suchen sich einige und manchmal auch viele immer wieder einen Sündenbock, dem man es dann hinter einer schützenden Stadionbalustrade oder mithilfe der versichernden Anonymität im World Wide Web so richtig geben kann. Verbale Kommentare unter der Gürtellinie sind hier an der Tagesordnung, immer wieder tasten sich Verrückte an gewisse Grenzen heran. Oder überschreiten sie manchmal bereits mutwillig.
Als NFL-Coach muss Nick Sirianni sich zusammenreißen
In dem Wissen um diese Umstände muss Nick Sirianni sich einfach vor Augen führen, dass dies bis zu einem gewissen Grad zum Leben eines NFL-Head-Coaches dazugehört. Erst recht in einer Stadt, die sich immer wieder mit dem gnadenlosen Image ihrer Fans brüstet, auch wenn sie sich damit manchmal selbst verzwergt. Wenn Grenzen überschritten wurden gibt es hunderte von Securities im Stadion, die sich der Sache annehmen können. Als Coach muss man darüberstehen, man muss sich im Griff haben, bei allem Verständnis für die menschliche Emotion. Im Stadion, vor allen Kameras, vor den Augen der Welt und vor allem vor Millionen von Kindern, darf man sich als Nick Sirianni nicht aufführen wie ein Halbstarker in irgendeiner College-Bar. Nicht wenn man ernst genommen werden möchte.
Dass irgendwas schief gelaufen ist hat Sirianni wohl selbst direkt nach seinem Fauxpas gemerkt. Andernfalls hätte er wohl kaum seine drei Kinder mit auf das Podium der Pressekonferenz geschleppt und damit versucht, sich vor allzu kritischen Nachfragen abzuschirmen oder eine ordentliche Portion Sympathie zu erhaschen. Und auch wenn Sirianni seinen Kids sicherlich ein toller Vater ist, derartig unprofessionelles Verhalten grenzt an totale Verantwortungslosigkeit, gerade wenn man das Alter des Nachwuchses bedenkt. Letztendlich zeigt diese Episode aber auch nur, wie verzweifelt Nick Sirianni selbst längst schon ist. Er steckt wie viele Fans voller Leidenschaft, er ist extrem emotional, in ihm brodelt es. Die Niederlagen, die Anfeindungen, der Druck in Philly – nichts davon geht an ihm spurlos vorbei. Mit seiner herausfordernden und an Arroganz grenzenden Art lädt er ein gewisses Maß an Negativität von Haus aus schon ein. Und in der Kombination entwickelt sich nun scheinbar alles zu einem perfekten Sturm, dem Sirianni von seinem Gemüt her einfach nicht gewachsen ist. Niemand will dass sich alle NFL-Coaches wie Roboter zusammenreißen, leidenschaftliches Verhalten tut dem Ligaalltag natürlich gut. Doch hier gibt es Grenzen, es gibt Orte und es gibt Zeiten dafür.
Bedenkt man diese nicht, dann muss man wohl oder übel irgendwann mit den Konsequenzen leben. Für den Politiker, der die Wähler vor den Kopf stößt, heißt das dann ein Sitzplatz in der Opposition oder mitunter sogar Schlimmeres. Für den Head Coach der Philadelphia Eagles eben etwas anderes.