Vor wenigen Tagen hat Darren Waller seine Karriere beendet. Der 31-Jährige blickt auf eine außergewöhnliche Karriere zurück und hatte bei seiner ersten NFL-Station in Baltimore jahrelang mit seinem Drogenkonsum zu kämpfen, den er in Oakland endlich in den Griff bekam. Wallers Kampf gegen sich selbst und seine Probleme ist eine dieser Geschichten, die man jedem Kind auf der Welt erzählen sollte und eine Inspiration für viele andere, die durch die gleiche dunkle Zeit gehen.
Wer sich 2019 ein wenig ausführlicher mit der Offense der Oakland Raiders beschäftigt hat, hat sich wohl in etwa diese Notizen gemacht: Josh Jacobs läuft dreimal hintereinander, es folgen zwei Catches von Darren Waller, dann läuft Jacobs wieder ein paarmal, anschließend dropped ein Spieler, der nicht Darren Waller heißt, den Ball und dann läuft Jacobs wieder, bevor sich Quarterback Derek Carr erneut nach Waller umsieht. Und schlussendlich läuft dann entweder Jacobs den Ball in die Endzone oder Waller macht einen spektakulären Catch für sechs Punkte. Fast jeder Drive läuft nach diesem Schema ab. Der springende Punkt ist: Kaum eine Offense war in diesem Jahr so sehr von zwei einzelnen Spielern abhängig wie die Raiders von Jacobs und Waller. Dieser Eindruck hat sich nur noch verstärkt, als sich in Tyrell Williams Oaklands bester Wideout zur Mitte der Saison vorübergehend verletzte.
Während man allerdings durchaus erwarten konnte, dass Rookie-Runningback Jacobs, den die Raiders immerhin in der ersten Runde des 2019er Drafts ins Team holten, die Backfield-Snaps schnell dominieren würde, kam der rapide Aufschwung Wallers durchaus überraschend. Der 27-Jährige lag zur Hälfte der Saison mit 48 Receptions und 548 Receiving-Yards nur hinter Superstar Travis Kelce und Atlantas Austin Hooper ligaweit auf Platz drei unter den Tight Ends. Über die ersten sechs Spiele der Saison hatte Waller bereits 44 Bälle von Carr gefangen - die meisten in der Franchise-Geschichte zu diesem Saisonzeitpunkt. Zur Orientierung: Auf Platz zwei in dieser Liste lag kein geringerer als Receiver-Legende Jerry Rice, der es im Jahr 2002 immerhin auf 40 Receptions schaffte.
Erste Fragezeichen im College
Die Zahlen klingen beeindruckend, und erscheinen umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass in den Jahren zuvor nur wenige NFL-Experten überhaupt etwas über den ultra-athletischen Tight End wussten. Waller kam ursprünglich im Jahr 2015 als Sechtsrunden-Pick der Baltimore Ravens in die Liga. Auf seinem College in Georgia Tech beeindruckte Waller, damals meistens noch als Wide Receiver aufgestellt, zwar nicht mit für Aufsehen erregenden Zahlen, aber mit seiner Mischung aus Größe (1,98 Meter) und Geschwindigkeit, die ihn auf den Zetteln einiger Draft-Experten gar in die vierte oder dritte Runde brachte. Dass Waller dann doch erst an 204. Stelle vom Board ging, hatte vor allem mit Sorgen um seine Person zu tun. Schließlich wurde Waller bereits im College zweimal wegen des Missbrauchs von Marihuana gesperrt und stand nur haarscharf vor einer dritten Suspendierung, was regeltechnisch einen automatischen Ausschluss aus dem Team zur Folge gehabt hätte.
Waller jedoch zeigte Einsicht und schien seine Lektion gelernt zu haben. “Ich war wirklich unreif“, sagte Waller damals. “Ich hatte das Gefühl, dass es die Leute nur auf mich abgesehen haben.“ Die zweite Suspendierung habe ihm allerdings die Augen geöffnet und gezeigt, wie egoistisch sein Verhalten war. Nachdem Waller unter anderem persönlich bei den New England Patriots, Atlanta Falcons und Cincinnati Bengals vorgespielt hatte, waren es schließlich die Ravens, die Waller in der sechsten Runde endlich erlösten und darauf setzten, dass dieser seine Drogenprobleme wirklich in den Griff bekommen hatte. 2015, in seinem ersten Jahr in der NFL, konnte Waller das erst einmal nicht beweisen, da er die ganze Spielzeit verletzungsbedingt ausfiel. In der Offseason war der Plan der Ravens Waller endgültig zum Tight End umzuschulen, wo er die alternden Dennis Pitta und Ben Watson langfristig ersetzen sollte.
Tiefpunkt bei den Ravens
Doch es kam, wie es kommen musste: Erneut wurde Waller positiv auf Marihuana getestet und musste die ersten vier Wochen der 2016er Saison von der Seitenlinie zuschauen. In einem für Aufsehen sorgenden Interview in der HBO-Serie Hard Knocks sprach Waller über die Zeit im Trainingscamp Baltimores. “Ich war in Baltimore und habe mental nicht mehr richtig funktioniert“, so Waller. “Ich war wirklich jeden Tag high. Ich habe alles zu mir genommen, wo ich meine Hände dran bekommen habe. Opiate, Oxy [Oxycodon, ein starkes Schmerzmittel, Anm. d. Red.], Xanax, Pillen, Kokain. Mich hat nichts interessiert, ich habe nicht einmal an irgendwelche Konsequenzen gedacht.“ Waller sprach auch darüber, dass er zu diesem Zeitpunkt seiner Karriere nicht einmal sicher war, ob er überhaupt weiter spielen wollte.“Ich habe sogar geplant, mir meinen Weg aus der Liga zu sabotieren, dass ich nicht aussehe wie ein 'Quitter'. Die NFL sollte mich aus meiner Misere befreien.“
Die Ravens gaben die Hoffnung in den talentierten Waller dennoch nicht auf, verfrachteten ihn erstmal in den Practice Squad und holten ihn nach der Bye-Week zur Mitte der Saison in den aktiven Kader zurück. Die Geduld der Franchise schien sich auszuzahlen: In den restlichen Spielen fing Waller zwar nie mehr als zwei Pässe, konnte mit zwei Touchdown-Catches aber durchaus zeigen, welch enormes Talent er besitzt. Da Pitta vor der 2017er Saison aufgrund seiner dritten Hüftverletzung mit dem Karriereende flirtete, schien die Bühne bereit zu sein für das große Breakout-Jahr von Waller. Was folgte, war der nächste Schock. Waller wurde zum zweiten Mal in seiner Zeit bei den Ravens positiv auf illegale Substanzen getestet und musste nach NFL-Statuten die ganze 2017er Saison aussetzen. Es war ein Nackenschlag, von dem sich Waller wohl nie mehr erholt hätte, hätte er nicht wenige Monate nach Inkraftreten seiner Sperre ein einschlagendes Erlebnis gehabt.
Therapie und Neustart bei den Raiders
Waller selbst redet nicht gerne darüber, was wirklich im August oder September 2017 passierte, aber nach allem, was wir wissen, hatte er eine beängstigende Erfahrung, nachdem er einige Pillen zu sich genommen hatte, und entschied sich ein für alle Mal, mit dem Drogenkonsum aufzuhören. Nur einen Tag nach seinem 25. Geburtstag, am 14. September 2017, begab sich Waller für vier Tage in ein Detox-Center in Boston und blieb anschließend laut The Athletic einen Monat in Borden Cottage, einem klinischen Zentrum in Maine, wo er sich einer Therapie unterzog und anonyme Suchtberatungs-Treffen aufsuchte. Angeblich arbeitete Waller in dieser Zeit in einem Lebensmittelladen ganz in der Nähe.
Clean für das erste Mal, seitdem er mit 15 Jahren auf der High School in seine Drogensucht verfiel, war sich Waller unsicher, ob er überhaupt in die NFL zurückkehren wollte, entschied sich letztlich aber dafür. Dieses Mal, schwor er sich aber, wollte er clean bleiben. Nachdem seine Suspendierung im August 2018 abgelaufen war, stellte Waller einen Antrag bei der NFL, um wieder spielberechtigt zu sein. Es war jedoch offensichtlich, dass Wallers Zukunft nicht mehr bei den Ravens lag, auch wenn diese ihn weiterhin in ihrem Practice Squad behielten. So wartete Waller darauf, dass sich ein anderes Team bei ihm melden würde. Das Glück schien endlich einmal auf ihn herab, als die Raiders ihn am 26. November 2018 in ihren 53er-Kader aufnahmen. In vier Spielen als Backup von Jared Cook fing Waller sechs Bälle für 75 Yards.
“Herzblut“ der Raiders
In der folgenden Offseason hatte Waller nach dem Abgang Cooks zu den New Orleans Saints dann endlich die Chance, um den Stammplatz in Jon Grudens Offense zu spielen. Er gewann den Job und hat seitdem nicht mehr zurückgeschaut. Seine herausragenden Leistungen in der damaligen Saison, haben ihn zu einem unverzichtlichen Bestandteil des Teams gemacht. Nach der bitteren 24:42-Niederlage gegen die Green Bay Packers in Woche 7 bezeichnete Gruden Waller gar als “Herzblut“ der Raiders-Offense. All das sorgte schließlich dafür, dass Waller am 16. Oktober 2019 über drei weitere Jahre bei den Raiders unterschrieb.. “Das zeigt mir“, so Waller, “dass ich jetzt jemand sein kann, auf den man sich verlassen und auf den man zählen kann. Das war davor nicht der Fall und darauf bin ich stolz.“
So blieb er es bis 2022 bei den Raiders, die ihn dann zur vergangenen Saison zu den New York Giants tradeten. Am Big Apple ging sein sportlicher Stern langsam unter. Er ist halt in die Jahre gekommen – und jetzt in wohlverdienter Football-Rente.