Die Jacksonville Jaguars machen am ersten Abend des NFL Drafts den Auftakt und wählen Travon Walker von den Georgia Bulldogs als neuen Verteidiger zur Verstärkung ihres Teams. Weiter geht es mit einigen markanten Trades. Erst danach hören die meisten Quarterbacks ihren Namen auf der großen Bühne in Las Vegas. Dazu passt, dass auch der letzte Draftpick, gern als „Mr. Irrelevant“ betitelt, in diesem Jahr ein Quarterback ist.

Es braucht wahrscheinlich etwa drei Jahre, um genau sagen zu können, wie gut oder schlecht die einzelnen Spieler sein werden, die sich die Franchises an den drei Tagen des letzten April-Wochenendes ausgesucht haben. Aber zumindest der Prozess kann schon einmal in Augenschein genommen werden.

Spektakuläre erste Runde

Die Jaguars setzen mit ihrem First Overall Pick Travon Walker vielmehr auf „High Risk, High Reward“ statt auf die sichere Bank Aidan Hutchinson. Für ein Team, dass so dringend nach echten Playmakern auf beiden Seiten des Balles sucht, vielleicht sogar ein unnötiges Risiko. Aber die Zukunft wird zeigen, wohin dieser Weg die Jaguars nach der katastrophalen und glücklicherweise kurzen Urban-Meyer-Ära führen wird.

Besonders zufrieden mit ihrer Auswahl am ersten Tag zeigen sich die New York Jets. Mit Cornerback Ahmad „Sauce“ Gardner, Wide Receiver Garrett Wilson und einem späten Uptrade für Defensive End Jermaine Johnson sichert sich General Manager Joe Douglas gleich drei Talente, die er allesamt in seinen Top Acht vor dem Draft gerankt hat, wie Head Coach Robert Saleh später am Abend in der Pressekonferenz bestätigen wird:

„Oh Mann, wenn du drei aus deinen ersten acht bekommst, erwartest du es nicht“, sagte Saleh. „Wie Joe sagte, wir hatten das Glück, dass wir in der Lage sind, unsere besten verfügbaren Spieler zu nehmen, (…) also war Sauce eine sehr einfache Entscheidung. Dann mit Garrett Wilson auf 10 zu kommen, war eine sehr einfache Entscheidung. Als wir bei 15 ankamen und es war wie: ‚(…) unser Top-Typ ist immer noch da.‘ Joe arbeitet am Telefon und kann ihn erreichen, wir bekommen drei Impact-Spieler auf drei Premium-Positionen. Davon träumst Du, aber es war ein wirklich guter Tag und eine wirklich gute Gelegenheit für diese Jungs, hereinzukommen und diesem Team zu helfen, besser zu werden.“

Trades mit Receivern, nicht mit Quarterbacks

Während die Jets also eine traumhafte erste Runde erleben, gibt es vor allem im Ringen um die Wide Receiver einige überraschende Trades, die nicht nur Rookies betreffen. Drake London (Atlanta Falcons) und Garrett Wilson gehen in den Top Ten. Nachdem wir ähnliches bereits im Draft 2021 gesehen haben, scheint sich dieser Trend fortzusetzen.

Für die New Orleans Saints ist der frühe Run auf die Wide Receiver Grund genug, an Position Elf vorzutraden, um sich Chris Olave zu sichern. Unmittelbar danach preschen auch die Detroit Lions nach einem Trade mit Divisionsrivale Minnesota vor und nehmen sich an Zwölf Jameson Williams, den explosiven Star-Receiver aus Alabama. 

Es geht munter so weiter. Washington holt sich an 16 bereits den fünften Receiver in Runde Eins. Dann folgt der Blockbuster-Moment des Abends. Die Philadelphia Eagles tauschen mit den Tennessee Titans ihren 18. Pick für den elitären Receiver A.J. Brown ein, der sodann mit einem 100-Millionen-Vertrag ausgestattet wird. Die Titans verjüngen sich danach gleichzeitig auf der Position mit Treylon Burks.

Dann scheinen alle Wide Receiver weg zu sein, die von den Teams eine Bewertung für die erste Runde erhalten haben und der nächste Rookie geht deshalb erst in Runde Zwei. Die Arizona Cardinals haben sich in der Zwischenzeit dafür längst die Dienste von Marquise „Hollywood“ Brown gesichert. In Baltimore konnte sich der schnelle Receiver nie durchsetzen. Nun hoffen die Cardinals, dass er mit seinem ehemaligen College-Quarterback Kyler Murray und einem vergleichbaren Schema, wie er es bei den Oklahoma Sooners gewohnt war, endlich in der NFL ankommt.

Der große Fall der Quarterbacks

Wesentlich später als erwartet, nehmen sich die Franchises den Quarterbacks an. Obwohl einige Mannschaften mit klarem Need auf der wichtigsten Position in den Draft gingen, ist das Interesse an Malik Willis und Co. doch eher gering. 

Als erster Quarterback wird Kenny Pickett an 20. Stelle von den Pittsburgh Steelers ausgewählt. Später ging seit 1997 kein Quarterback mehr im Draft vom Board. Als dann Malik Willis noch hinter Desmond Ridder (74. Pick) fällt, ist die Sensation im negativen Sinne perfekt. Sam Howell wird später sogar erst in der fünften Runde gedraftet. 

Trotz großem Medienrummel erhielt die Positionsgruppe damit sogar weniger Hype als die katastrophale Klasse aus 2013. Vor neun Jahren wurden E.J. Manuel (1.16), Geno Smith (2.39) und Mike Glennon (3.73) allesamt noch früher gedraftet als der zweithöchste Spielmacher dieses Jahrgangs. Deutlicher kann die NFL ihre fehlende Wertschätzung für die diesjährigen Quarterbacks nicht ausdrücken. 

Dafür gibt es ein paar passende Kombinationen von Teams und Quarterbacks. So darf Desmond Ridder nun bei den Atlanta Falcons neben Marcus Mariota um den Startplatz kämpfen. Interessanterweise vergleicht Ridder sogar sein Spiel mit Mariota und sagt nach seiner Auswahl folgendes:

„Er (Mariota) ist meine (Pro) Comp. Ich wollte niemandem Worte in den Mund legen, aber ich dachte mir, wenn sie ihn bekommen wollen, warum nicht einen jüngeren Kerl wie ihn? Das bin offensichtlich ich selbst. Als sie ihn geholt haben, hat das mein Interesse an Atlanta geweckt.“

Bernhard Raimann – historischer Augenblick

Die Geduld österreichischer Footballfans wird indes am zweiten Tag auf die Probe gestellt. Der NFL Draft 2022 ist die 87. Spielerauswahl im professionellen American Football. Noch nie wurde in all diesen Jahren ein Mann aus der Alpenregion ausgewählt.

Dann, nach endlosen zwei Runden ist es endlich so weit. Troy Vincent, NFL Executive Vice President of Football Operations verkündet auf der Bühne: 

„Mit dem 77. Pick im NFL Draft 2022 wählen die Indianapolis Colts: Bernhard Raimann, Offensive Tackle, Central Michigan.“

Bernhard Raimann schreibt hiermit österreichische Football-Geschichte. Er ist der erste gedraftete NFL-Profi aus dem Alpenstaat. Gewöhnen muss er sich dazu wahrscheinlich zuallererst an die neue Umgebung. Mit 383 Metern über dem Meeresspiegel, ist der Hoosier Hill die höchste Erhebung Indianas. Nicht mehr als ein Katzenbuckel für den Österreicher.

Zur Eingewöhnung erhält Bernhard, der bereits ein ausführliches Interview in der vorletzten Ausgabe TOUCHDOWN24 gegeben hat, einen Mitspieler aus dem deutschsprachigen Raum, der ebenfalls auf den Spuren von Björn Werner bei den Colts wandelt und darauf hofft, eine längere Karriere zu haben, als der einstige erste deutsche Firstround Draftpick. 

\Der Stuttgarter Marcel Dabo hatte insgeheim auf eine Auswahl im Draft gehofft. Nun gelangt der Defensive Back aber über das International Player Pathway Program (IPPP) zu den Colts nach Indianapolis. 

Tag Drei im Zeichen der Special Teams

Am letzten Tag des Drafts stellt sich zum Schluss die Frage nach dem diesjährigen Mr. Irrelevant. Die Antwort: Brock Purdy wird von der Iowa State kommend, den Quarterback-Room der San Francisco 49ers ergänzen.

Doch vor diesem „irrelevanten“ Pick gibt es noch viel Bewegung. Hier setzen die Teams vor allem auf athletisches Upside und Vielseitigkeit. So genannte Laterounder müssen sich erst einmal im Kader etablieren und da hilft es vor allem, wenn diese Spieler zunächst in den Special Teams eingesetzt werden können. 

Beispielhaft dafür soll hier die jeweilige Wahl auf Jalen Nailor für die Minnesota Vikings oder Samuel Womack für die San Francisco 49ers gelten. Beide müssen sich erst einmal über die Special Teams beweisen, um einen Kaderplatz zu rechtfertigen. 

Zum Thema Special Teams sei abschließend noch erwähnt, dass der Punter-Jahrgang wirklich gut gewesen ist. Bereits vor dem Draft galten „Punt-God“ Matt Araiza und einige Kollegen als Targets vieler NFL Teams. Ab Runde Vier beginnt deshalb bereits der Run nach der heißen Ware und am Ende wureen insgesamt vier Punter gedraftet. Vom Rekord aus 1976, als acht Punter gedraftet wurden, blieb die NFL weit entfernt. Damals gab es aber auch 17 Runden, statt der mittlerweile etablierten sieben Runden.

Über den/die Autor/in
Philipp Forstner
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Philipp Forstner
Autor / Redakteur
Philipp schreibt bei TOUCHDOWN24 u.a. über den College Football

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