Das Spektakel des Drafts gehört zur NFL wie die Preseason, Deadline Day oder der Super Bowl. Bereits Jahre im Voraus werden die nächsten potenziellen Stars des Footballs beobachtet und versucht aufgrund ihrer Talente einzuschätzen. Die Wochen rund um den Draft gleichen dem Hinfiebern auf die Oscar-Verleihung mit Mock Drafts, Wetten und zahlreichen Expertenrunden. Picks werden unmittelbar in den Himmel gelobt oder zunichte gemacht, jeder einzelne Fan hat passionierte Meinungen zu den Wahlen seines Teams. Kurzum: Der Draft ist herrlich US-amerikanisch – und fester Bestandteil des Unterhaltungsfaktors der NFL.
Auch im deutschen Fußball wir das Konzept des Drafts immer wieder diskutiert. Kein Wunder bei der bis vor kurzem andauernden Dominanz des FC Bayern München. Schließlich schafft der Draft durch die Verteilung der vielversprechendsten Nachwuchsspieler an die schwächsten Mannschaften der Vorsaison zumindest theoretisch Chancengleichheit, durch die die Machtverhältnisse der Liga automatisch ausgeglichen werden sollen. Ein für jeden Sportfan reizbarer Gedanke – aber ist dieser in der Fußball Bundesliga überhaupt sinnig und realistisch umsetzbar?
Bei Betrachtung der beiden Systeme NFL und Bundesliga werden auf den ersten Blick eklatante Unterschiede deutlich: Die Ligenstruktur, Internationalität sowieso die Jugendförderung sind grundsätzlich anders aufgebaut. Der deutsche Fußball ist vom Profifußball der 1. Bundesliga bis zur Dorfmannschaft in Kreisligen durchlässig strukturell aufgebaut. Durch die Möglichkeit des Auf- und Abstiegs ist es also in der Theorie möglich, sich bis ganz nach oben arbeiten zu können. Die NFL hingegen existiert als exklusive Liga: Es gibt die festgelegten 32 Teams, die in einer Liga jede Saison um den Super Bowl konkurrieren. Abwechslung gibt es hier nicht – die Mannschaften bleiben die gleichen. In der Folge verläuft auch der Draft in seinen festen Strukturen.
Struktur wird schnell chaotisch
Wenn man das Draft-Konzept also auf die Bundesliga übertragen würde, müsste man sich die Frage stellen, wo eine Grenze zu ziehen sei. Würden nur die 18 Klubs der 1. Bundesliga Nachwuchsspieler draften? Würde man die 2. oder sogar 3. Liga noch miteinbeziehen, sie aber erst in späteren Runden in den Draft einsteigen lassen? Was passiert mit den jeweiligen Auf- und Absteigern der Liga?
Sollte dies festgelegt sein, stellen die internationalen Strukturen des Fußballs die nächsten Hürden dar. Während die NFL in einem Vakuum agiert, das sie klar als die international beste Football Liga auszeichnet, existiert die Bundesliga in einem internationalen und besonders europäischen System, in dem sie nur eine von vielen Ligen ist. Beim NFL-Draft stellen sich alle Footballspieler mit Ambitionen im Profisport zur Verfügung, unabhängig ihrer Nationalität. Die NFL ist schlicht das einzig mögliche Ziel, ein Footballstar zu werden. Die Bundesliga hingegen gilt im Vergleich als vielleicht drittbeste Liga in Europa. Welcher Spieler würde sich schon ausschließlich für die deutschen Vereine der Bundesliga zur Verfügung stellen?
College-Sport auf US-Profi-Ligen zugeschnitten
Würden also folglich bei einem Draft der deutschen Bundesliga auch ausschließlich deutsche Talente gedraftet werden? Schließlich müssten sonst zumindest alle europäischen Fußballligen einen eigenen Draft etablieren, oder sogar einen ganzheitlich europäischen Draft abhalten, der alle Dimensionen sprengen würde.
Zudem stellt sich die Frage, woher die Nachwuchstalente überhaupt kommen? Um zum NFL-Draft zugelassen zu werden, müssen die Sportler an einem College eingeschrieben sein. Der US-Sport macht es sich zunutze, dass das amerikanische Schulsystem großen Fokus auf den Sport legt und für sie die zukünftigen Sportstars des Landes in seinen Bildungseinrichtungen ausbildet. Das bedeutet auch, dass die Spieler vor dem Draft keinerlei Berührungspunkte oder gar Verträge mit NFL-Teams haben. Erst mit dem Draft werden sie Teil eines NFL-Franchises.
Im Fußball sind Profivereine auch für die Ausbildung zuständig
Die Bundesliga funktioniert gänzlich anders: Die Profivereine selbst sind für die Ausbildung des Nachwuchses zuständig. Da der Fokus auf Sport in deutschen Schulen und Universitäten nicht einmal im Ansatz mit dem der USA zu vergleichen ist, fällt diese Art der Ausbildung weg. Stattdessen sind die Fußballvereine von der Profimannschaft bis zu den Kindermannschaften in den Nachwuchsleistungszentren des DFBs durchstrukturiert. Das heißt auch, dass die potenziellen Profis von morgen bereits als Teenager vertraglich an einen bestimmten Verein gebunden sind. Der Übergang vom Nachwuchsspieler zum Profi verläuft fließend, der Sprung von der U19 zur 1. Bundesliga kann ganz plötzlich stattfinden. Sollte das Konzept eines Draftes eingeführt werden, müsste der Ausbildungsbereich gänzlich von den Profimannschaften getrennt werden. Die Nachwuchsleistungszentren blieben bestehen, müssten jedoch unter neutraler Flagge ausbilden.
Insgesamt erscheint die Übertragung des Draft-Konzeptes auf die Bundesliga äußerst kompliziert und unwahrscheinlich. Die NFL und der deutsche Fußball unterscheiden sich in ihren Grundstrukturen so fundamental, dass alleine ein Gedankenexperiment zu einem Bundesliga-Draft schon absurd erscheint. Sollte es trotzdem gewagt werden, müsste der Draft auf vermutlich die 1. und 2. Bundesliga begrenzt werden. Zudem stehen im Kontext des europäischen Wettkampfes ausschließlich deutsche Nachwuchsspieler zur Auswahl. Die Talente müssten außerdem vereinsunabhängig ausgebildet werden. Hinzu kommen Fragen des europäischen Arbeitsrechtes, was alleine schon das Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes für jeden Arbeitnehmer beinhaltet und hier ausgehebelt werden würde.
Die Chancen, dass all diese strukturellen Veränderungen im eingestaubten deutschen Fußball erfolgen, gehen gegen null. Damit bleibt der Draft aller Voraussicht nach in all seinen aufmerksamkeitsheischenden, lauten, bunten Facetten vor allem eines: amerikanisch.