Aaron Donald sorgte im Training gelinde gesagt für Aufsehen. Credit: Imago Images / Icon Sportswire

Die NFL-Saison 2022 rückt mit jedem Tag näher und einer der größten Stars der Liga dachte sich, da kann man mal für eine ordentliche Schlagzeile sorgen. Aaron Donald riss zwei Gegenspielern in guter Myles-Garrett-Manier die Helme vom Kopf und schwang damit nach den nunmehr entblößten Häuptern. Nicht gerade die Art, wie ein Titelverteidiger in die Spielzeit gehen will. Oder doch?

Bei manch einem Anblick fährt selbst gestählten Football-Profis noch der Schreck in die austrainierten und wuchtigen Körper. Eigentlich müssen sie ja auf dem Feld oder sonst wo eigentlich vor gar nichts Angst haben. Wenn allerdings ein wutschnaubender Aaron Donald vor einem steht, kann der kalte Schweiß schon einmal den muskelbepackten Rücken hinunterlaufen. Wenn er es dann auch noch auf dich, genau dich, abgesehen hat, müssen selbst riesige Offensive Lineman vielleicht einen kleinen Kloss die trockene Kehle hinunterschlucken. Schließlich wissen sie ja um die Hulk-ähnliche Wut des Jahrhundertverteidigers, der gleichzeitig ähnliche Ausmaße wie der grüne Comic-Held sein Eigen nennt. Nun stelle man sich aber mal vor, Donald würde nicht nur einfach so mit den Cleats scharren und auf ein kleines Handgemenge aus sein, wie sie in jedem Spiel und jedem Training zuhauf passieren. Sondern er hat jetzt ganze zwei Helme in den Händen, die geschwungen in eben jenen zu mittelalterlichen Schlagwaffen werden.

Öffentlicher Aufschrei ob Donalds Ausraster

Klingt verrückt, ist aber ein zweifelhaftes Vergnügen, dem sich ein paar Offensive Linemen der Cincinnati Bengals jüngst gegenüber sahen. Bei einer Ausgabe der mehr als sinnlosen gemeinsamen Trainingseinheiten, die in jeder Preseason für Ärger und seltsame Momente bescheren, rastete der Super Bowl Champion und dreifache Defensive Player Of The Year während einer Rangelei  komplett aus (auch die Bengals hatten ihr Zutun bei der Entstehung des Ärgers) und sorgte mit seiner wütenden Entgleisung für den vorzeitigen Abbruch besagter Einheit. Glücklicherweise wurde bei der Eskapade niemand ernsthaft verletzt. Mit dementsprechender Nachbereitung kochte aber natürlich schon bald die Skandalsuppe in den sozialen Medien, mit Prisen von pointierten Kommentaren sowie kleingeschnittenen Häppchen aus öffentlichen Diskussionsrunden war der scharfe Beigeschmack für Donald sowie die NFL im Handumdrehen perfekt.

Der Zwischenfall schmeckt dabei vielen Menschen ganz unterschiedlich. Manche fordern vehement eine Sperre für Donald und heben schon jetzt mahnend den Finger in Richtung der Liga, die vor einigen Jahren mit Myles Garrett schon einen ganz ähnlichen Fall verdauen musste und damals mit einer saftigen Sperre reagierte. Andere wiederum sehen in Donalds Tätlichkeiten lediglich die Rauchschwaden seines berühmten inneren Feuers, das ihn vom einst dicklichen Jungen zu einem der dominantesten Verteidiger der NFL-Geschichte gemacht hat. Sie sehen keinen Bedarf für eine Suspendierung oder Ähnliches, gehören solche Auseinandersetzungen doch in gewisser Weise zum guten Ton in einem NFL-Training. Rams-Coach Sean McVay kommentierte unter anderem: "Ich sehe Jungs, die schwingen, manche mit Helm, manche ohne. Es ist halt ein Handgemenge und mich interessiert nur, dass sich hoffentlich niemand von uns oder dem anderen Team verletzt."

Aaron Donald reizt Grenzen immer wieder aus

Ganz so „normal“ ist es am Ende natürlich nicht. Die Teams müssten auf eine riesige Zahl an Practice Squad Playern und CFL-Legionären zurückgreifen, wenn sich ihre Angestellten wöchentlich mit den Gegenständen, die ihre Köpfe eigentlich schützen sollen, eben jene einschlagen würden. In einer Aktion, wie Donald sie sich geleistet hat, steckt eine gehörige Portion Singularität. Football ist zwar ein brutales Spiel und ob man es nun mag oder nicht, eine gewisse Form von Gewalt macht eine gehörige Portion der Faszination dieses Sports aus. Gleichwohl gibt es für eben jene Grenzen und Regeln, in welchen sie sich bewegen und Teil des Gesamtkonstrukts sein darf. Diese Linie hat Aaron Donald im Training mit den Bengals mit ordentlichem Schwung überschritten.

Überaus überraschend kommt es allerdings nicht, dass sich ausgerechnet Donald in einer derartigen Situation wiederfindet. Einerseits ist er als doch durchaus herausfordernder Superstar immer Ziel von Sticheleien anderer Teams, andererseits hatte er schon mehrfach in der Vergangenheit Probleme, seine Emotionen im Zaum zu halten. Da waren gewürgte Gegenspieler, Kopfstöße und ähnliche Ausfälle, die in ihrer Häufigkeit längst zu einem widerkehrenden Makel geworden sind – auch wenn sich das in der berechtigten Glorifizierung seiner Person eher selten widerspiegelt. Viele haben darüber im Anhimmeln von Donalds legendären Fähigkeiten gerne hinweggesehen, leugnen kann den etwas zu weit getragenen "Mean Streak" des Rams-Tackles allerdings eigentlich keiner. Noch dazu, weil er damit zum Teil nur ein natürlicher Auswuchs eines Spiels ist, in dem man eben auf hart mit härter reagieren muss.

Ausraster willkommene Begleiterscheinung?

Es gehört zum Beruf eines Football-Spielers dazu, seinen Körper und vor allem seinen Geist so nah wie möglich an eine Grenze zu bringen, welche erst ganz kurz vor wutentbrannter Raserei und Zerstörungswut gezogen wird. Der Wille zur Zerstörung, zum Niedermachen seines Gegenübers, er ist für viele Profis essentiell dafür, dass sie ihren Platz in der Liga behalten. Er ist unabdingbar für das, was Coaches, Mitspieler und Fans von ihnen verlangen. Wem dies zu martialisch vorkommt, der kann gerne noch einmal ein paar alte Tapes von berühmten Head Huntern der Ligageschichte reinschmeißen, die schließlich für das Spiel, was wir heute kennen, den Weg ebneten. Auch wenn mittlerweile viele Regeländerungen einen Teil des gefährlichen Körperkontakts aus dem Sport genommen haben, so steht einer der Grundgedanken gerade an der Line of Scrimmage immer noch auf festen Beinen: Man muss den Mann vor sich schlagen, koste es, was es wolle.

Die Natur des Spiels erklärt ein Stück weit die zeitweise überbordende Aggression, wie sie Aaron Donald oder auch ganz viele seiner Kollegen oftmals an den Tag legen. Sie entschuldigt aber natürlich in keiner Weise ein Verhalten wie jenes, was man beim Rams-Bengals-Practice zu sehen bekam. Dabei ist es ganz egal, dass man über solche Dinge vielleicht vor 40 Jahren im Camp der 1970er Steelers oder anderer berühmter Knochenbrechertruppen nur müde gelächelt hätte. Die Zeiten sind heute nun einmal andere, egal, wie man dazu stehen oder es bewerten mag. Dementsprechend interessant wird es, ob Donalds Ausbruch von Wut disziplinare Konsequenzen abseits einer erwarteten Geldstrafe nach sich zieht. Diese liegen bei Vorfällen im Training nämlich eigentlich in den Händen der Teams, die schon verlauten ließen, alles intern zu regeln und sich sicherlich nicht personell schaden wollen. Schon gar nicht so kurz vor dem Saisonauftakt.

Und ganz vielleicht freuen sich die Rams ja sogar, dass ihr Superstar auch nach dem Super Bowl Gewinn im letzten Jahr noch eine gehörige Portion seiner inneren Wut besitzt. Jener, die einen Großteil seiner Stärke ausmacht.

Über den/die Autor/in
Moritz Wollert
Moritz Wollert
Moritz Wollert schreibt für TOUCHDOWN24 u.a. über die NFL. Für das monatliche Print-Magazin schreibt er u.a. die NFL History Artikel

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