Tua Tagovailoa, Quarterback der Miami Dolphins, erlitt im dritten Viertel des “Thursday Night Football“ Spiels gegen die Buffalo Bills eine Gehirnerschütterung. Als er bei 4.24 Minuten im Viertel scrambelte, kollidierte er mit Bills Safety Damar Hamlin und fiel zu Boden. Sein Oberkörper schien sich zu versteifen, als seine Arme zuerst zur Seite gingen und dann zu seinem Helm griffen.
Sechs Minuten später bestätigten die Dolphins, dass er eine Gehirnerschütterung erlitten hatte und schlossen ihn für das restliche Spiel aus. Die Verletzung am Donnerstag kommt zwei Seasons, nachdem Tagovailoa im Jahr 2022 aufgrund mehrerer Kopfverletzungen ausgefallen war. Die erste dieser Verletzungen schien in Woche drei gegen die Bills aufzutreten und Tua durfte später im Spiel wieder zurückkehren. Wenige Tage später wurde er für das Spiel gegen die Cincinnati Bengals freigegeben, bei dem er nach einem Sack vom Feld getragen werden musste, nachdem er eine “Fencing Response“ zeigte.
Eine “Fencing Response“ ist eine sofortige Reaktion der Gliedmaßen, die bei Personen auftreten kann, die eine Hirnverletzung erlitten haben. Später in der Season 2022 trat Tagovailoa erneut in das Concussion-Protokoll ein, nachdem er während des Spiels gegen die Green Bay Packers an Weihnachten Symptome einer Gehirnerschütterung zeigte. Vor Woche 17 bestätigte Dolphins-Head-Coach McDaniel, dass Tua eine weitere Gehirnerschütterung erlitten hatte und ausgeschlossen wurde.
Tagovailoas Verlauf durch das Concussion-Protokoll im Jahr 2022 führte dazu, dass die Spielergewerkschaft der NFL ihren unabhängigen Neurotrauma-Berater entließ und die Liga ihre Richtlinien später überarbeitete. Seit der Einführung des Spieltags-Gehirnerschütterungsprotokolls im Jahr 2011 hat die NFL mehrere Maßnahmen ergriffen, um die Anzahl der Gehirnerschütterungen bei Spielern zu reduzieren. Dazu gehören Regeländerungen und die Einführung der sogenannten Guardian Caps, eine weiche Schale über dem Helm, die während den Spielen für zusätzlichen Schutz sorgen soll.
Für diesen Artikel habe ich einen Fachmann über Tuas Situation und dem Concussion Protokoll der NFL befragt. Vielen Dank an Dominic Otschonovsky, Arzt in Weiterbildung, für die spontane Bereitschaft einige Fragen zu beantworten. Einigen dürfte er unter seinem “X“-Handle @docfettzi, bekannt sein. Seine Reaktion auf die Szene mit Tua vom TNF Spiel: “Ich habe das Video morgens vor der Arbeit gesehen. Ich dachte mir: Ach du…. Direkt wieder mit motorischen Symptomen. Mal sehen, was das für seine Karriere bedeutet.“
TOUCHDOWN24: Was ist aus medizinischer Sicht das gefährliche an einer Gehirnerschütterung?
Dominic Otschonovsky: Grundsätzlich besteht das Problem, dass untergegangene Nervenzellen oft unwiederbringlich zerstört sind. Das heißt, Hirngewebe, das einmal untergegangen ist, kann sich nicht erholen. Andere Bereiche des Hirns können die entsprechenden Aufgaben übernehmen, aber diese Kompensationsmechanismen sind begrenzt. Außerdem ist der genaue Schaden schwer einzuschätzen. Der Schweregrad eines Schädel-Hirn-Traumas (SHT Anm. der Red.) wird anhand eines klinischen Scores (Glasgow Coma Scale eingeschätzt. Das genaue Ausmaß kann nur mit einem CT bestimmt werden.
Ein leichtes SHT heilt in der Regel folgenlos aus. Bei einem mittelschweren SHT behalten etwa 44 Prozent der Patient*innen einen bleibenden Schaden, auch wenn dieser meist moderat ist.“
TOUCHDOWN24: Was kann ein menschlicher Körper aushalten und wann wird es gefährlich?
Otschonovsky: “Der menschliche Körper kann im gesunden Zustand eine Menge aushalten und vieles kompensieren, Im Hochleistungssport geht das jedoch manchmal auf Kosten der langfristigen Gesundheit. Einige Therapien sind auf eine möglichst schnelle Genesung ausgelegt, nicht auf langfristig gute Ergebnisse. Beim Thema SHT ist das schwer zu beurteilen. Es gibt keinen genauen Grenzwert, wie viele in Ordnung sind. Mit jedem weiteren SHT steigt die Wahrscheinlichkeit von bleibenden Schäden, da jedes Mal erneut Hirngewebe abstirbt.“
TOUCHDOWN24: Wie schnell kann eine Fachperson eine Einschätzung vornehmen und wie sicher ist die “erste Diagnose“?
Otschonovsky: Das kommt sehr auf die jeweiligen Symptome an. Erfahrenes medizinisches Personal kann im Regelfall die Diagnose in Sekunden bis wenigen Minuten stellen. In Grenzfällen, wenn die betreffende Person entsprechende Symptome verschweigt, ist es aber auch vorstellbar, die Diagnose zu “verpassen“.
TOUCHDOWN24: Was hältst Du vom Fünfphasenplan der NFL (siehe unten) um festzustellen, ob ein Spieler vom Concussion-Protokoll wieder runter kann?
Otschonovsky: Eine genaue Einschätzung fällt mir schwer, da die NFL deutlich mehr Erfahrung mit SHTs und deren Behandlung bzw. Rekonvaleszenz hat. Ich gebe nur zu bedenken, dass dieser Plan nur so gut sein kann, wie dessen unabhängige Kontrolle. Die Spieler und Franchises haben ein natürliches Interesse, wieder schnellstmöglich auf dem Feld zu stehen. Die Untersuchung und Begleitung sollte sollte also durch unabhängiges medizinisches Fachpersonal erfolgen. Das diese aktuell “nur“ im letzten Schritt erfolgt, sehe ich als Schwachstelle. Allerdings gilt wie überall in der Medizin: wenn die Menschen volljährig sind, ist ein Zwang nur in äußerst seltenen Fällen möglich. Am Ende sind und bleiben die Spieler hauptverantwortlich für ihre Gesundheit.
TOUCHDOWN24: Du als Seattle-Seahawks-Fan hast sicherlich noch die Szene im Gedächtnis, als Jamal Adams im letzten Dezember im Monday Night Game ins Protokoll kam. Obwohl Adams‘ Ausschluss ein Erfolg für das Concussion-Protokoll der NFL war, zeigte seine Weigerung, dieses Ergebnis zu akzeptieren - was ihm schließlich eine Geldstrafe einbrachte - ein Problem auf, das den Prozess weiterhin belastet. Wie weit ist es möglich, Symptome zu überspielen?
Otschonovsky: Wie oben schon erwähnt, kommt es sehr auf die Symptome des jeweiligen SHTs an. Grundsätzlich ist es aber absolut vorstellbar, dass man es in manchen Fällen komplett überspielen kann. Der Fan in mir kann das total nachvollziehen. Wir alle wollen die Stars Woche für Woche auf dem Spielfeld sehen, wo sie geile Plays machen. Der Arzt in mir hält das aber für unverantwortlich. Ich glaube viele Spieler sind sich der Langzeitfolgen nicht bewusst. Sie fühlen sich jung sowie fit und damit vielleicht auch unverwundbar. Zum Thema Geldstrafe für Adams: Ich weiß nicht, ob es das richtige Signal war. Irgendwie erhöht das den Druck noch mehr. Eventuell wäre eine Evaluation in den katakomben sinnvoller. Da ist Deeskalation bestimmt einfacher als vor zehntausenden Zuschauer*innen.“
TOUCHDOWN24: Wie gefährlich wird es, wenn man Symptome gar nicht bemerkt?
Otschonovsky: Schwer zu beurteilen. Auch hier gilt wieder: In der Wiederholung liegt die Gefahr. Das Risiko eines einzelnen leichten SHTs ist gering. Wie oben erwähnt, ist eine vollständige Erholung sehr wahrscheinlich. Wenn man aber alle zwei Wochen ein leichtes SHT überspielt, kommen dann pro Season ggf. inklusive Playoffs, 10 SHTs zusammen. Da ist das Risiko von Spätfolgen natürlich sehr hoch.
TOUCHDOWN24: Ohne jetzt irgendwelche Empfehlungen abgeben zu wollen, aber was sollte man Tua für die Zukunft raten?
Otschonovsky: “Er sollte sehr gut abwägen, ob es ihm wert ist, die Langzeitfolgen in Kauf zu nehmen. Es kann ihm schon jetzt keiner sagen, wie es ihm in zehn Jahren gehen wird. Jedes SHT ist eins zu viel. Ist ein Super-Bowl-Ring es wert, eine Epilepsie zu bekommen, eine CTE oder Ähnliches?
TOUCHDOWN24: Die NFL investiert viel, um Concussions und die Verhinderung zu erforschen. Aktuelles Beispiel sind die sogenannten “Guardian Caps“. Wie ist Deine Meinung zu den Bemühungen der NFL und wo siehst Du noch Potenzial?
Otschonovsky: Die Bemühungen sind richtig und wichtig. Sie sind meines Erachtens in der Pflicht da noch mehr zu tun und zu entwickeln, befinden sich aber definitiv auf dem richtigen Weg. Eventuell muss der nächste Schritt darin liegen, die Spieler besser aufzuklären und ihnen die potenziellen Langzeitfolgen vor Augen zu führen. Vielleicht sorgt das dann auch für eine bessere Mitwirkung der Spieler bei den Maßnahmen. Ich sage nur die Helm-Affäre von Tom Brady. Grundsätzlich gilt aber: Solange es ein Kontaktsport ist, wird das Risiko immer da sein.
TOUCHDOWN24: Vielen Dank Dominic für Deine Einblicke. Noch weitere Anmerkungen?
Otschonovsky: Ich bin kein Neurologe oder Neurochirurg. Ich habe mich versucht an der gängigen medizinischen Fachliteratur zu orientieren. Ich möchte hier aber explizit keine Therapieempfehlungen oder Ähnliches abgeben.
Infobox:
Fünf Phasenplan der NFL
- Phase 1, symptombegrenzte Aktivität: Der Spieler muss sich ausruhen und Aktivitäten, welche die Symptome verstärken oder verschlimmern, einschränken bzw. vermeiden. Unter Aufsicht des medizinischen Trainingspersonals können begrenztes Dehnen und Gleichgewichtstraining eingeführt werden. Wenn der Spieler dies verträgt, kann er an Team-Meetings und Videoanalysen teilnehmen.
- Phase 2, aerobes Training: Unter Aufsicht des Mannschaftspersonals beginnen die Spieler mit abgestuften kardiovaskulären Übungen, z. B. auf einem stationären Fahrrad oder Laufband. Der Spieler kann auch Dehn- und Gleichgewichtstraining durchführen.
- Phase 3, Football-spezifische Übungen: Der Spieler setzt das überwachte kardiovaskuläre Training fort und kann Football-spezifische Aktivitäten simulieren sowie betreutes Krafttraining durchführen.
- Phase 4, nicht-kontaktbasierte Trainingsübungen: Der Spieler kann weiterhin kardiovaskuläres, Kraft- und Gleichgewichtstraining absolvieren, an teambasierten Übungen teilnehmen und nicht-kontaktbasierte Football-Aktivitäten ausüben.
- Phase 5, vollständige Football-Aktivität/Freigabe: Der Spieler wird schließlich vom Mannschaftsarzt für volle Football-Aktivitäten mit Kontakt freigegeben. Der Spieler muss von einem unabhängigen neurologischen Berater, der seinem Verein zugeteilt ist, untersucht werden. Wenn dieser der Einschätzung des Mannschaftsarztes zustimmt, dass die Gehirnerschütterung abgeklungen ist, darf der Spieler am nächsten Training oder Spiel seines Teams teilnehmen.