Die New York Giants gehörten 2022 zu den großen Überraschungen der NFL, ihren Marsch in die Playoffs hatten nur ganz wenige vorausgesehen. Mit einer Vielzahl an Offseason-Moves wachsen nun die Erwartungen, gleichzeitig schreien gewisse Statistiken nach einem Rückfall. Wo geht die Reise hin für "Big Blue"?
Es gibt wenige Dinge, die einen NFL-Fan mehr verzücken können als ein Team, das die in sich gesetzten Erwartungen übertrifft. Wer sich schon in der Preseason nach dem preisgünstigsten Draft-Guide umschaut, der frohlockt umso mehr, wenn auf einmal doch in Woche 15 oder 16 die Playoffs eine realistische Option darstellen. Gott bewahre, man erreicht sie dann auch noch! Es ist dann wohl die oft beschriebene Glasur auf dem Kuchen, die so viel besser schmeckt, als man es vorher gedacht hätte. Aber Vorsicht! Eine Glasur kann schnell ein kleines Stück zu süß werden und die ganze Torte verhunzen. Und ebenso ist es mit den Überraschungsmannschaften in der NFL.
Denn so sehr eine singuläre Saison auch der Anhänger-Seele schmeicheln mag, so sehr basieren die gedämpften Erwartungen für viele Teams ja schon auf gewissen Tatsachen. Dazu wird eine starke Saison einer eigentlich mittelmäßigen Mannschaft schnell zur Nebelkerze, wenn man dadurch den eigenen Kader komplett überbewertet und fehlinterpretiert, was dann wiederum zu horrenden Verträgen oder Schnellschüssen auf dem Free Agent Markt führen kann. Das aktuelle Beispiel der New York Giants scheint auf den ersten Blick wie eine Blaupause für genau jenes Szenario.
New York Giants wollen auf Überraschungsjahr aufbauen
Die "GMen" straften letztes Jahr jegliche Kritiker Lügen und schafften unter dem NFL Coach Of The Year Brian Daboll in seiner Premierensaison im Big Apple einen fulminanten Run bis in die Divisional Round der Playoffs. New York spielte dabei trotz einiger Verletzungen inspirierten, toughen Ergebnisfootball, versteckte jegliche Lücken im Kader lange mit kreativen Playcalling und boxte mindestens eine Gewichtsklasse über dem, was die Waage vor der Saison anzeigte. Umstrittene Spieler wie Quarterback Daniel Jones oder Saquon Barkley straften mit starken Spielzeiten ihre Kritiker Lügen und hinterließen einen positiven Eindruck, gerade was ihre Möglichkeiten in der Zukunft anbelangt.
Das Problem dabei ist aber, dass viele traditionelle Statistiken der Giants aber eine eigentlich ganz andere Sprache sprechen. Man muss lange suchen, bis man wirklich dominante Dimensionen im Spiel der Giganten findet und landet fast ausschließlich beim offensiven Run Game, welches mit 4,9 Yards per Rush zu den fünf besten der Liga gehörte. Es profitierte dabei zweifellos von den beweglichen Beinen eines Daniel Jones, was in sich vielleicht auch ein Problem sein könnte, bedenkt man, dass er mit seinem neuen 40-Millionen-Dollar-pro-Jahr-Vertrag nicht unbedingt der sein sollte, der Play auf Play in gegnerische Verteidiger-Monster reinrammen sollte.
Gleiches ließe sich über Josh Allen oder Jalen Hurts sagen und diese Sorgen sind gemessen an klassischen NFL-Weisheiten absolut berechtigt. Fern ab dieser Diskussion bleiben aber ebenfalls Sorgen um die Verteidigung, welche 22,8 Punkte zuließ (NFL-Rang 22) und bei den Yards sogar noch schlechter dastand. In der Offense lief es kaum besser, nur elf Teams machten weniger Punkte als die Giants. Mit drei erlaubten Sacks pro Spiel rangierte man ebenfalls im Ligakeller und das Deep Passing Game war so gut wie nicht vorhanden. Die Turnover-Werte, die Penalties, die Special Teams – alle Bereiche schnitten bestenfalls im Ligamittelfeld ab, wenn überhaupt.
Die Offseason der New York Giants macht Mut
Damit mögen die New York Giants wie eine klassische Eintagsfliege erscheinen und ein Szenario eines flächendeckenden Rückschritts würde so manchen nicht im Geringsten wundern. Daniel Jones könnte schnell wieder zu der Turnover-Maschine werden, die er vor der letzten Saison war, Saquon Barkley könnte sich wieder verletzen und die Offensive Line könnte in ihrer ohnehin langsamen Entwicklung steckenbleiben, All-Pro-Tackle Andrew Thomas hier einmal ausgenommen. Brian Daboll wäre nicht der erste Coach, dessen frühen brillanten Ansätzen im zweiten NFL-Jahr die Luft ausgeht und außerhalb des persönlichen Honeymoons schnell bitterer Ligaalltag einkehrt. Das kann alles sein, muss aber nicht.
Denn obwohl die New York Giants sich auch jetzt noch reihenweise Fragezeichen gegenübersehen – die besagte Offensive Line, der Pass Rush, die Fragilität einiger wichtiger Akteure, die Langlebigkeit ihres Offensivsystems – sieht es so aus, als ob sie durchaus die richtigen Schlüsse aus ihrem Überraschungsjahr 2022 gezogen haben. Sie stopften zum Beispiel einige eklatante Löcher mit namhaften Profis, unter anderem auf der Tight End Position mit Darren Waller oder im Linebacking Corps mit Tackling Maschine Bobby Okereke, und konnten Schlüsselspieler Dexter Lawrence langfristig binden.
Coach Daboll on Daniel Jones' work ethic
— GiantsTV (@GiantsTV) May 31, 2023
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Besonders hervorzuheben ist hier, dass viele der Giants-Offseason-Moves finanziell auf wirklich bodenständigem Niveau erfolgten. Sie hielten Darius Slayton zum Beispiel für nur sechs Millionen Dollar im Jahr und das obwohl er in drei der letzten vier Jahre der beste Receiver des Teams war. Okerekes zehn Millionen pro Jahr sind auch durchaus als Schnäppchen zu sehen, bedenkt man so manchen anderen Linebacker-Deal in der NFL. Unter diesen Voraussetzungen erscheint vielleicht auch die wirklich hohe Extension für Daniel Jones in einem anderen Licht.
Ein X-Faktor namens Daniel Jones
Im Draft setzte man weitere gute Akzente und verstärkte mit John Michael Schmitz zum Beispiel die Offensive Line. First Round Corner Deonte Banks füllt ein weiteres Loch und Jalin Hyatt könnte die Lösung des Deep Speed Problems der Giants sein. Sollte, könnte, vielleicht – klar, viel davon ist Projektion. Aber es ist zumindest ein deutlicher Plan unter General Manager Joe Schoen zu erkennen, welcher die großen Baustellen im Kader nicht nur identifiziert, sondern auch direkt angeht. Dies ist unter dem schönen Schein einer Überraschungssaison nicht immer ganz einfach.
In einem Punkt könnte 2022 für die New York Giants aber dennoch zum späten Genickbrecher werden. Denn egal, wie gut die Rookies einschlagen, egal, wie gut sich der Kader unter Daboll weiterzusammenführt und entwickelt, alles ist unwichtig, wenn Daniel Jones nicht den nächsten Schritt macht. Mit ihrer Strategie setzen die Giants ganz klar auf ihn und sind in der mittelfristigen Zukunft auf eine weitere Entwicklung von ihm angewiesen. Kommt dieser nicht, dann blickt man auf einmal in die lange Röhre der Mittelmäßigkeit.
Vorzuwerfen wäre das dem Front Office in jenem Fall aber wohl auch nicht. Denn welche andere Option als Daniel Jones hatten die Giants denn, nach dessen guter Saison und mit seiner Rolle für das lauflastige Offensivsystem? Genau, eigentlich keine. Aber so ist es manchmal mit Überraschungsjahren, sie können in der Zukunft noch eine ganze Weile nachwirken. Im Guten, wie aber auch im Schlechten.