Die NFL auf RTL ist vom ersten Tag an eine Art Politikum, über das sich unzählige leidenschaftliche Fans nur zu gerne allwöchentlich aufregen. So berechtigt, so fehlgeleitet oder so banal eben diese Emotionen auch immer sein mögen, so eklatant war die Steilvorlage des Senders am vergangenen Sonntagabend.
Sportübertragungen haben auf RTL eine lange Tradition, eine mitunter spektakuläre, zeitweise sogar hochklassige und auf jeden Fall für viele unvergessliche. Wer erinnert sich nicht an die Mittage in den 1990er Jahren, als trotz 30 Grad Außentemperatur und wucherndem Unkraut die Blicke auf futuristisch aussehende Karren gebannt waren und ein junger Mann aus Kerpen mit markantem Kinn so manchem wie ein neuer Messias erschien. Und dann gab es Nächte, in denen noch echte Boxkämpfe in voller Länge gezeigt wurden, vom „Gentleman“, dem „Tiger“ und Axel „die Fackelmann-Mütze ist angewachsen“ Schulz, der gegen den großen George Foreman gewann, nur um dann doch nicht gewonnen zu haben. Beim Fußball fielen ganze Tore in Madrid und aus Wimbledon, aus dem heiligen All England Lawn Tennis and Croquet Club, moderierte der legendäre Uli Potofski am Ikea-Schreibtisch das bedeutendste Tennis-Turnier der Welt, inklusive deutscher Heldinnen und Helden. Wenn es schon nicht Hochkultur war, Kai Ebels Hemden lassen grüßen, dann gehörte es zumindest zur bundesrepublikanischen Sportkultur.
Der große NFL-Fauxpas bei RTL
Nun, man mag das skurrile, explosive und mit Botox aufgespritzte Unterhaltungsprogramm einmal außen vorlassen, aber in Sachen Sport hat sich beim pompös-prolligen Privatsender sicherlich so einiges verändert. Und zieht man den vergangenen Sonntag zu Rate, an dem die Minnesota Vikings gegen die New York Jets in London spielten, dann jedenfalls nicht zum Besseren. Denn so bedeutungsschwanger und aufplusternd sich RTL auch in das NFL-Europa-Spiel stürzte so still und verstohlen wieselte man sich kurz vor Ende der Partie davon. Es kämen jetzt die Nachrichten, aber man kann ja per QR-Code auf den Streaming-Kanal RTL+ umschalten. Was etliche Football-Fans zunächst gar nicht glauben konnten war tatsächlich Realität. In einem engen Spiel, die Vikes führten kurz vor Schluss mit sechs Punkten und New York hatte den Ball, verließ man eine Live-Übertragung zugunsten einer von hunderten an diesem Tag letztendlich unbedeutenden Vorabend-Nachrichten-Sendung. Oh Moment, vorher schaltete man nochmal Werbung! Spätestens da flog selbst dem Letzten die Fan-Mütze von der Pläte, spätestens da tippten sich die X-Armeen der Finsternis die Finger wund. Ein paar Verzweifelte versuchten noch den Sender-Spagat, landeten aber wohl teilweise bei einem aufgehängten Fenster. „Football is Family“ - für die mit Abo zumindest!
An RTL und seinen NFL-Übertragungen scheiden sich bekanntlich die Geister, was letzten Endes vor allem mit subjektivem Empfinden zu tun hat. Das ganze Ding ist wohl selten so schlecht, wie es gemacht wird, gleichermaßen ganz bestimmt nicht so gut, wie es sich selbst manchmal fühlt. Dass man den Namen eines Special Teamers nicht zu hören bekommt, der einen Punt blockt, dass manche Game Changing Plays schlichtweg nicht wahrgenommen werden oder dass sich viele Insides auf rudimentärstem Niveau bewegen sind relativ peinliche Fehltritte, bei allem Verständnis für die Herausforderung, eine Sendung für jeden zu machen, und den großen Verdiensten vergangener Jahre. Die von manchen fast schon verhassten Talking Heads sind am Ende vom Tag aber auch nur Menschen mit normalen Leben und zeitweise sogar rührenden Backgrounds, keine Roboter, die gegen Fehler immun sind. Schöne und gar menschliche Momente gehen manchmal unter, wie unlängst auch in London, als RTL zumindest bei einer Familie ganz groß punktete, deren Sohn sie als „Praktikant“ samt Mama und Papa zum Spiel bugsierte. Nur muss man sich schon fragen, wie ein derartiger Fehler des Wegschaltens vor dem Hintergrund passieren kann, dass er jetzt in gewisser Weise schon zum zweiten Mal vorkommt. Man erinnere sich an die Draft-Nacht, die RTL vor Ort und mit dementsprechendem Hype ins deutsche Fernsehen brachte. Was eigentlich ein Meilenstein sein sollte, wurde zu einer Veranstaltung, in der einer der Picks dank Werbung überhaupt nicht im TV gezeigt wurde.
NFL-Fernsehen stottert nicht bloß bei RTL
Es ist hier ein bisschen wie mit so vielen Dingen in der Neuzeit, bei denen immer ganz viel gewollt wird, dabei aber das Grundlegende vergessen wird. Der allererste Job einer Fernsehübertragung ist es, ein Ereignis zu zeigen. Es sind nicht die Hinweise auf Twitterperlen, ein Bericht über das Loch im Socken von Taylor Swift oder irgendein Pennäler-Humor, der jedem spätestens mit 23 peinlich zu werden droht. Nein, das Fernsehen hat die Aufgabe, zu zeigen, was da auf dem Feld oder sonst wo passiert. Wenn es das nicht tut, aus welchen Gründen auch immer, führt es sein gesamtes Dasein ad absurdum. Und Sport, das haben viele in der heutigen Zeit vergessen, ist in erster Linie einmal Sport und keine Varieté-Show. Er kann zu einer dementsprechenden Unterhaltungsexplosion werden, aber wenn dann tut er es aus sich heraus und nicht, weil ihn irgendwelche narzisstisch veranlagten Nebendarsteller dahingehend überhöhen oder sich für den nächsten Hashtag ins Bild drängen. Die Sender sind ein Teil des großen Ganzen und können eine Übertragung mehr als nur ergänzen, nur sie dürfen nie zum Kern werden. Und schon gar nicht dürfen sie einfach aufhören, zu übertragen!
Für alle RTL-Freunde muss man sicherlich noch fairerweise festhalten, dass diese Art der Arbeitsinterpretation längst nicht nur ein Kölsches Phänomen ist. Auch in den USA vergaloppieren sich etliche Sender immer wieder in unfassbar nervigen Pregame-Segmenten, die das Kratzen auf einer Kreidetafel wie Clarence Clemons Saxophon-Solo bei „Jungleland“ klingen lassen. Auch in Amerika verschwinden mittlerweile Playoff-Spiele hinter unsäglichen Paywalls, Fans müssen mit kurzfristigen Terminänderungen klarkommen und verschiedenste Standards werden mit der Wucht eines Brandon Aubrey Field Goals getreten. Solange die Klick-Zahlen und das Geld stimmen interessiert das von den Verantwortlichen aber niemanden. Am Ende entscheidet irgendwann dann doch noch der kleine Mann oder die kleine Frau in der Masse. Sie mögen derzeit noch aus fernen und neu erschlossenen Märkten kommen aber wer weiß, wie es irgendwann mal sein wird. Im Fall von RTL wird sich ob der bitteren Pille sicherlich so mancher gen anderer Übertragungsmöglichkeiten verabschieden, viele davon mit Sicherheit zum League Pass oder irgendeinem anderen Dienst. Die Auswahl ist da ja mittlerweile doch recht vielfältig.
In den 1990er Jahren war das auch noch ein wenig anders.