Reggie Bush bekommt seine Heisman Trophy zurück, die der Star-Runningback der USC Trojans einst wegen unerlaubter Zuwendungen freiwillig abgegeben hatte. Die Regeln sind heute andere, heißt es. Aber macht das die Verfehlungen der Vergangenheit einfach so wett? Im College Football anscheinend schon.
Golden strahlt die Sonne über die Hügel von Pasadena, tränkt die Welt in leuchtende Farben. Leichter Wind streift die gigantischen Palmen, die hier in den Himmel ragen. Ein Raunen zieht vom Rose Bowl durch die Lüfte, dann Jubel, ohrenbetäubender Jubel. Abertausende Menschen recken die Arme nach oben, glauben kaum, was sie vor ihren Augen sehen. Ein Junge im dunkelroten Trikot mit der Nummer Fünf rast über den Gridiron, seine Gegner sind lediglich Staffage, Statisten in einer Show, die jeden Samstag zur besten Sendezeit im ganzen Land ausgestrahlt wird. Noch ein paar letzte Schritte, dann hebt er ab und fliegt gen Endzone. Ein kleines bisschen wie Superman.
Reggie Bush war Superman für die Trojans
Reggie Bush ist seiner Zeit genau das für eine Generation von College Football Fans Anfang des neuen Milleniums. Er ist wie gemacht für den aufkeimenden Highlight-Durst einer zunehmend digitaler werdenden Welt, eines Kosmos, in dem er einer der hellsten Sterne überhaupt darstellt. Mit seiner spektakulären Spielweise, seinen Sprüngen über die Line of Scrimmage, den Videospiel-Cuts passt er perfekt zum schillernden Image der University of Southern California, jenem College-Team, das ein klein wenig mehr Hollywood ist als alle anderen. Das Jahr 2005 gehört fast ganz allein Reggie Bush, statistisch, ästethisch, visuell. Irgendwie ist er dabei alles, Runningback, Superman, Allzweckwaffe. Er ist College Football, wie man es liebt. Und natürlich ist er auch der Heisman Trophy Sieger.
Bis er es dann irgendwann nicht mehr ist.
Denn es soll sich herausstellen, dass Reggie Bush eben nicht nur wegen seiner atemberaubenden Athletik, seinen pfeilschnellen Antritten oder legendären Plays der Inbegriff des NCAA Spiels ist, sondern auch weil er die in dieser Landschaft heiligen Regeln gebrochen hat. Dauerhafter Agentenkontakt, ausufernde Geschenke für Familie, ein Auto, ein Apartment, Limousinenservice – die Liste der „inproper benefits“, wie es die NCAA nennt, ist lang und ach so beispielhaft für tausende vor ihm und etliche nach ihm. Nur gilt dies als schwerwiegender Frevel in einer Welt, die lange erpicht war auf die Bewahrung ihres Amateurstatuts und dementsprechend harte Strafen für diejenigen verhängt, die daran wackeln. Im Zuge des gewaltigen Skandals, der nach Bekanntwerden von Bushs Vergehen hochkocht, belegt die College-Dachorganisation USC mit saftigen Sanktionen und Bush gibt aufgrund nachhaltigem öffentlichen Druck seine Heisman Trophy ab. Ein Stück wundersame, unvergessliche College Football Geschichte – einfach so mit einem traurigen „Aber“ versehen.
Reggie Bush bekommt seine Heisman Trophy zurück
Jenes wurde just in diesen Tagen aber wieder relativiert. Wie der Heisman Trust (wichtig: nicht die NCAA) verkündete, soll Reggie Bush seine Heisman Trophy wiederbekommen. „Die Landschaft im College Football hat sich nachhaltig geändert“ lassen die Offiziellen verkünden und verweisen darauf, dass NCAA-Athleten mittlerweile fürstlich für „Name, Image & Likeness“ entlohnt werden und durch jene NIL-Deals von ihrer eigenen Marke profitieren dürfen. Bush selbst hatte nach der gewichtigen Regeländerung 2021 Lobbyarbeit für die Rückgabe seiner Trophy erhalten. Die News rufen teilweise großen Jubel in der College Football Gemeinde hervor, ein seriöser Zeitgenosse wie zum Beispiel Johnny Manziel applaudiert, nachdem der notorische Schwerenöter angedroht hatte, so lange der Heisman Zeremonie fernzubleiben, bis Bush seinen Award zurückbekommt. Endlich wurde getan, was richtig ist, so der Tenor, der in sozialen Netzwerken in mal mehr, mal weniger bedeutungsschwangeren Statements gesungen wird.
We're live at the @TRAVISMATHEW x @ReggieBush collection event!
— Playing Through (@_PlayingThrough) May 3, 2024
The Heisman Trophy is in the house!!!! #ReggisBushCollection pic.twitter.com/vWrotRiPfb
So mancher Schelm, der über den Fall eine Minute länger nachdenkt, fragt sich nun vielleicht, ob es denn wirklich der richtige Schritt ist. Schließlich haben Bush und sein Gefolge während seiner College-Zeit eindeutig bestehende Regeln gebrochen. Diese mögen bezogen auf die seit Jahrzehnten machthungrige NCAA scheinheilig und diskutabel sein, letztlich waren sie aber nun einmal da. Viele haben sich daran gehalten, andere wie Reggie Bush nicht und dafür wurde er bestraft. Nur weil die Statuten heute andere sind macht es doch die Vergehen von gestern nicht ungeschehen, ganz egal ob Bush böswillig angeschwärzt wurde oder nicht. Werden etwa alle Drogendelikte im Nachhinein neu abgewickelt, weil Cannabis mittlerweile vielerorts legalisiert wurde? Oder andersherum: Werden bald alle Spiele neu bewertet, in denen früher ein Swivel Hip Drop Tackle getätigt wurde, jenes, das just verboten wurde? Schließlich hat sich die „Landschaft“ ja hier auch geändert. Dass die Dinge, die Bush damals getan hat, heute in der gleichen Form immer noch illegal wären, darüber wird lieber geschwiegen. Aufgrund der fragwürdigen Vergangenheiten anderer Heisman-Sieger mag die Rückgabe der Trophy durchaus Sinn machen, moralisch in Ordnung wird das Handeln der USC unter Happy-go-lucky-Coach Pete Carroll damals aber trotzdem nicht.
College Football ist durchtränkt von Korruption
So altbacken, verstaubt, langweilig das manchem erscheinen mag, Regeln sind Regeln. Sie geben einen Rahmen, schaffen ein Spielfeld, auf dem viele möglichst fair miteinander agieren können. Und wer bei Brechen derer erwischt wird: Pech gehabt. Natürlich ist jede Geschichte dieser Art im College Football irgendwie lästig bis zu abstrus. Schließlich spricht man hier über eine Welt, die seit Ewigkeiten von Grauzonen, zwielichtigen Methoden und schwerwiegender Korruption durchzogen ist. Wer ehrlich ist, der weiß genau, dass hinter den Kulissen, im Büro des Coaches oder im Wohnzimmer eines hoffnungsvollen Recruits gemogelt wird, das die Balken biegen. Es gibt etliche Bücher, Filme und Dokumentationen darüber, die Aufklärung würde hier ganze Archive füllen. Mit einem Fall wie jenem von Reggie Bush versichert sich diese Welt ihrer eigenen Wahrnehmung, unterstreicht aber gleichzeitig, dass es doch gar nicht so schlimm ist, dass der Sport in vielerlei Hinsicht unter schwerwiegender Korruption leidet.
Hier ein Auge zuzudrücken macht es umso schöner, an einem kalifornischen Samstagnachmittag in Pasadena oder vor dem Fernseher zu sitzen, dem Spektakel zu folgen und jungen Helden zuzujubeln. Die Leidenschaft und alles andere zu spüren und sich gleichzeitig zu versichern, dass es keine Illusion ist. Oder eben in gewisser Weise doch.