NFL-Kicking-Maschine, Kult-Kommentator, Wrestling-Moderator… es gibt einige Label, mit denen man Pat McAfee bedenken kann. Seit Neuestem ist er für manche noch ein Heuchler, denn er wechselt mit seiner alternativen Show zum TV-Giganten ESPN. Ganz so einfach ist ein Urteil aber nicht!
Volksnähe ist ein Attribut, was hier oder da ganz sicher bei jedem TV-Kommentatoren-Seminar mal auf den Tisch kommt und angehenden Fernseh-Talkern mehr als nur nahegelegt wird. Ihr dürft nicht zu abgehoben rüber kommen, sagen sie, schafft eine Verbindung mit den Zuschauern. In der NFL ist dies sicherlich nicht anders, gerade in der heutigen Zeit, wo jeder Schritt, Tritt und gesprochene Satz auf digitale Goldwaagen gelegt wird. Nun fällt es vielen Ex-Professionellen mit 50.000-Dollar-Uhren am Handgelenk natürlich schwer den Millionen Otto Normalverbrauchern irgendwie zu suggerieren, dass sie "einer von ihnen" wären, auch noch nach einer Karriere, in der sie tagtäglich dank ihrer sportlichen Fähigkeiten weit über dem Rest der Menschheit schwebten.
Pat McAfee ist dies nie schwer gefallen, im Gegenteil. Er ist genau die Art von Typ, den sich gestandene Kerle im Fernsehen anschauen und sich verschmitzt grinsend sagen: "Mit dem würde ich gerne mal ein Bier trinken gehen." Und tief drinnen wissen sie, dass sie danach auch noch richtig steil gehen und die Nacht zum Tage machen wollen. Vielleicht nochmal leicht bekleidet um fünf Uhr morgens baden gehen oder so, was man eben so macht, wenn der Ernst des Lebens schlafen gegangen ist.
Pat McAfee erobert NFL-Medienlandschaft
Pat McAfee hat dies und vieles andere in seinem Leben getan, sowohl mit prominenten Football-Kumpels als auch mit Menschen von nebenan. Dass es die Öffentlichkeit überhaupt interessiert, was er so in seiner Freizeit macht hat er seinem sportlichen Talent und dem relativ goldenen Füßchen zu verdanken, welches ihn mehr oder weniger durch Zufall von der Provinz Pennsylvanias über West Virginia bis in den Super Bowl kickte. Und natürlich seiner Persönlichkeit, die ihn nach der aktiven Punter-Kicker-Football-Laufbahn zu einem tatsächlichen Medienphänomen gemacht hat. Einem Kultur-Rebellen, der die Dinge bei Barstool Sports, Fox, auf eigene Rechnung oder eben auch bei ESPN auf seine ganz eigene Art und Weise kommentiert. Inklusive Bier im Becher, einer Bühnendeko, die den frühen Stefan Raab stolz gemacht hätte, und einer Entourage an Cowboy-Hut tragenden Normalo-Kumpels mit Sports-Nerd-Charme. Dazu ist der erfrischend coole Ex-Packer-Linebacker A.J. Hawk einer von vielen Typen, die wie gemacht scheinen für das Sportfernsehen, denn sie sind wie McAfee selbst – echt. So jedenfalls der Schein.
Pat McAfee's story is INSANE:
— Joe Pompliano (@JoePompliano) May 17, 2023
• Gambles $100 to attend a kicking camp
• Scholarship to WVU
• Drafted by the Colts
• Named an NFL All-Pro
• Gives up $6M contract to retire at 29
• Launches The Pat McAfee Show
• Signs $120M deal with Fanduel
And now he's headed to ESPN 📈 pic.twitter.com/sbxaZ0QTqR
Für so manchen Fan der megapopulären Show ist dieser mittlerweile wesentlich weniger Sein als zuvor. McAfee hat einen Blockbuster-Deal beim Riesen-Sender ESPN unterschrieben, mit dem er vorher schon regelmäßig gearbeitet hat, und das nachdem er 2021 einen 120-Millionen-Vertrag mit FanDuel geschlossen hatte. Ja, es dürften einige Nullen auf besagtem neuem Arbeitspapier vorkommen, was für die bodenständige und in sich sehr stolze McAfee-Fangemeinde aber nur eines der Probleme ist. ESPN – megalomanisch, pseudo-politisch-korrekt und von der Aufmachung nicht selten eher Bunte denn Sportteil in der Tageszeitung – steht für vieles, dass der wirkliche Sportfan an der Berichterstattung im neuen Jahrtausend verachtet. Der Sender flutet die Frequenzen mit allerlei seichtem Gewäsch, macht keinen Hehl aus seiner Liebe zu bestimmten Sportlern und kultiviert seit Jahren das Phänomen der übernatürlich negativen Talking-Heads, die ohne von irgendwas Ahnung zu haben durch übertriebene Hot Takes Klickzahlen generieren sollen. Traditioneller Sport-TV-Journalismus liegt da eher weiter unten im Aktenstapel, das Entertainment im Namen ESPN ist Programm.
Versaut ESPN den Freigeist Pat McAfee?
Puristen fürchten nun, dass McAfee sich für den TV-Giganten verbiegen werden muss, das berühmte F-Wort nicht mehr so leicht über die Lippen geht und dass der Happy-Go-Lucky-Kommentator, der ganz nebenbei auch eine schillernde Karriere am WWE Wrestling Mikro hinlegt, nachhaltig auf Linie gebracht werden wird. Das kann natürlich sein und es wäre geradezu tragisch. Denn bei aller Kritik, die man an McAfees gelinde gesagt individuellen Medienkonzept üben mag, so trifft seine Sendung doch den Zeitgeist wie einst Peyton Mannings Pässe die Hände seiner Receiver. Gerade weil er sich nicht so bierernst nimmt, gerade weil er einen Ansatz verfolgt, der vielen anderen Sportsendungen heute verloren gegangen ist. Denn seine Grundidee des Kommentars ist erst einmal positiv, er liebt den Sport, er liebt die Leute. Er ist nicht hinter schnittigen One-Linern oder "Got You" Phrasen her, die sich anschließend auf Twitter oder im Aktuellen Sportstudio gut verkaufen lassen.
Oh hört, ja so etwas gibt es noch in der heutigen Zeit und es wird ausgerechnet von jemandem vorgelebt, den man auf den ersten Blick eigentlich gar nicht ernst nehmen kann was seriöse NFL-Berichterstattung angeht. Dass man es eben doch kann liegt zu großen Teilen an McAfees besonderem Charakter, der einfach auf einem Bildschirm, auf Youtube oder mit seinen Geschichten aus dem Training Camp immer wieder einen Nerv trifft und dem man nach seiner beeindruckenden Kletterpartie auf der Medienkarriereleiter durchaus ein wenig Vertrauen schenken könnte. Unverblümtes, reales Insiderwissen inklusive! Natürlich herrscht hier und da zu viel Nähe zum Interview-Partner – Hust, Aaron Rodgers, hust – oder nicht jeder Take ist wirklich bis in die letzte Kerbe recherchiert. Aber hey, was macht das schon. Dafür hat man ja andere Talking Heads. Vielleicht ja auch bei ESPN, wo McAfee nun hoffentlich mit seinem positiven Approach weitermachen wird. Ganz egal, ob er der Typ ist, der er vorgibt zu sein. Der, mit dem man gerne einen heben möchte.
Und der jetzt eben mit seinem neuen Vertrag eine Runde mehr ausgeben kann.